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Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset

Titel: Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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aber durch das Streifenkorsett noch an ihren Rumpf (aber auch an die Beine) gebunden, polterte gegen den Küchenblock. Sie achtete nicht darauf. Es gelang ihr, das Messer mit der frisch befreiten Hand zu ergreifen und die Klebebänder an ihrem rechten Arm durchzusägen, während sie schluchzend nach Luft rang und immer wieder zu der Schwingtür hinspähte, durch die er hinausgegangen war und wahrscheinlich auch wieder hereinkommen würde. Als ihre rechte Hand frei war, riss sie die zerbrochene Lehne von ihrem linken Arm ab und warf sie auf den Küchenblock.
    »Hör auf, nach ihm zu schauen«, ermahnte sie sich in der dämmrigen grauen Küche. »Tu einfach nur deine Arbeit.« Es war ein guter Rat, aber schwer zu befolgen, wenn man wusste, dass der eigene Tod jederzeit durch diese Tür treten konnte.
    Sie sägte durch die Klebstreifen unter ihren Brüsten. Das hätte langsam und vorsichtig bewerkstelligt werden müssen, aber sie konnte es sich nicht leisten, langsam vorzugehen, und ritzte sich immer wieder mit der Messerspitze. Sie fühlte das Blut über ihre Haut rinnen.
    Das Messer war scharf. Einerseits ein Nachteil, wie die Schnitte unter ihrem Rippenbogen bewiesen, andererseits ein Vorteil, weil sich das Klebeband so widerstandslos aufschlitzen ließ, Lage um Lage. Schließlich war es von oben bis unten durchgetrennt, und der Stuhl sackte noch ein Stück weiter von ihrem Rücken ab. Sie machte sich daran, den breiten Packen Klebeband um ihre Taille zu entfernen. Jetzt konnte sie sich besser vorbeugen, und die Arbeit ging schneller voran, mit weniger Verletzungen. Endlich war es geschafft, und der Stuhl kippte zurück. Die Stuhlbeine hafteten jedoch noch immer an ihren Beinen, und die Holzfüße verrutschten plötzlich und gruben sich in ihre Fesseln, just an der Stelle, wo die Achillessehnen dicht unter der Haut lagen. Der Schmerz war mörderisch, und sie jaulte kläglich auf.
    Em griff hinter sich und schob den Stuhl wieder gegen ihren Rücken, damit dieser grauenhafte, bohrende Schmerz nachließ. Zwar verdrehte sie sich dabei schier den Arm, aber sie drückte den Stuhl weiter an sich, während sie sich rutschend umdrehte, bis sie sich an den Küchenblock lehnen konnte, um den Druck auf die Fesseln loszuwerden. Ächzend, schluchzend (sie merkte nichts von den Tränen) beugte sie sich vor und begann, die Klebstreifen an ihren Fußgelenken durchzusägen. All die Anstrengungen hatten die Streifen schon gelockert, die ihre Beine an den verfluchten Stuhl banden; also ging es jetzt schneller voran, und sie ritzte sich weniger häufig, obwohl sie sich noch einen ziemlich tiefen Schnitt an der rechten Wade beibrachte – als wollte sie sie unwillkürlich dafür bestrafen, dass sie sich bei dem Versuch, den Stuhl vom Boden zu lösen, verkrampft hatte.
    Sie werkelte gerade an den Bändern, die ihre Knie umspannten – den letzten, die noch übrig waren -, als sie die Haustür aufgehen und gleich darauf zufallen hörte. »Bin wieder da, Schatz!«, rief Pickering munter. »Hast du mich vermisst?«
    Em erstarrte, vornübergebeugt, die Haare im Gesicht, und sie musste ihre ganze Willenskraft zusammennehmen, um sich wieder zu bewegen. Keine Zeit für Feinheiten mehr; sie rammte die Klinge unter die graue Manschette an ihrem rechten Knie, vermied es wie durch ein Wunder, sich in die Kniescheibe zu stechen, und riss das Messer mit aller Kraft hoch.
    Im Flur war ein sattes Klack zu hören, und sie wusste, dass er gerade den Schlüssel im Schloss gedreht hatte – dem Klang nach ein massives Schloss. Pickering wollte nicht gestört werden, meinte vermutlich, heute schon genug gestört worden zu sein. Er kam den Flur entlang. Er trug offenbar Turnschuhe (sie hatte es vorher nicht bemerkt), jedenfalls konnte sie das feuchte Quatschen der Sohlen hören.
    Er pfiff »Oh! Susanna«.
    Das Band, das ihr rechtes Knie festhielt, zerriss, und der Stuhl kippte mit lautem Gepolter gegen den Küchenblock, jetzt nur noch an ihrem linken Knie befestigt. Einen Moment lang hielten die Schritte hinter der Schwingtür inne – sehr nah jetzt -, ehe sie losgaloppierten. Danach ging alles sehr, sehr schnell.
    Er stieß mit beiden Händen gegen die Tür, und sie flog krachend auf; die Hände waren noch ausgestreckt, als er in die Küche gerannt kam. Sie waren leer – keine Spur von dem Montiereisen, das sie sich vorgestellt hatte. Die Ärmel der gelben Regenjacke waren halb heraufgerutscht, und Em hatte noch Zeit zu denken: Die ist dir zu klein,

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