Super Nova (German Edition)
Und nun komm, steig ein, bevor du da draußen zum Eiszapfen wirst.«
Ich war leicht beschämt. Valentinstag, das war mir ganz entfallen. Aber es war tatsächlich der 14. Februar, ein Mittwoch. Hätte ich eher daran gedacht, hätte ich ihm auch eine Kleinigkeit mitgebracht, als Zeichen uns erer Freundschaft. Ich moch te Tommy wirklich, aber verliebt war ich nicht in ihn – weder in ihn noch in sonst irgendj e manden. Ich wollte bei Tommy auch keine falschen Hoffnungen wecken, dafür hatte ich ihn einfach zu gern.
Er war fast wie ein Bruder für mich. Mit leicht gesenktem Kopf saß er neben mir und blickte schweigend auf die vereiste Straße. Ich griff nach seiner Hand und drückte sie sanft. »Die essen wir nachher zusammen, okay?«, schlug ich vor und deutete auf die Praline n schachtel. Tommy grinste verlegen. »Stella, ich wollte dir damit nicht zu nahe treten. Ich weiß, wie du fühlst. Ich dachte nur … ich dachte, da wir Freunde sind, nun, da …«
»Tommy, es ist wirklich eine nette Geste von dir, es freut mich auch, sehr sogar. Nur war das heute nicht mein bester Morgen, ich war mit den Gedanken noch ganz woanders.«
Tommy strich sich seine langen braunen Locken, die ihm wie üblich ins Gesicht fielen, zur Seite und schaute mich eindringlich an.
»Alles okay mit dir, Stella? Ist was passiert?«
Ich musste mich auf die Straße konzentrieren und zog nur schnell den rechten Ärmel meiner Jacke etwas hoch, sodass man den ersten blauen Fleck an meinem Handgelenk erkennen konnte. Tommy seufzte.
»Schon wieder? Aber es ist doch gar kein Vollmond!«
»Ich hab dir immer gesagt, dass das nichts mit dem Vollmond zu tun hat, wie es meine Ärztin behauptet. Das muss irgendwas anderes sein«, sagte ich mehr zu mir als zu ihm.
»Aber Stella, das kann doch nicht so weitergehen! In letzter Zeit hast du sehr häufig Verletzungen. Das wird zu gefährlich, findest du nicht?«, erkundigte er sich besorgt und ich wusste, dass er recht hatte.
Wenn ich meiner Ärztin geglaubt hätte, hätte ich hinnehmen müssen, eine Schlafwandlerin zu sein. Das sagte man mir zumindest seit meiner Kindheit. Immer wieder wachte ich mit Verletzungen und Schmerzen auf, nur sah man mich nie schlafwandeln.
Um ehrlich zu sein, hatte ich auch jede Untersuchung ver wei gert! Die Ärzte wollten herausfinden, woher diese nächtlichen Störungen kamen. Im Kindesalter sollten ein EEG und eine Gehirntomografie gemacht werden, um den Grund für die Blessuren zu erfahren, aber ich hatte mich stets dagegen gewehrt. Inzwischen verschwieg ich die Verletzungen. Die Theorie, ich sei eine Schlafwandlerin, war eine Mutmaßung meiner Ärztin, die auch ohne Tests zu einem Ergebnis kom men wollte. Medizinischen Untersuchungen hatte ich nie zugestimmt. Meine Angst vor den Ärzten, deren glänzenden scha r fen Gerätschaften und den sterilen Krankenhäusern war einfach zu groß. All die Tests, die da auf mich zugekommen wären … Allein der Gedanke daran war für mich der blanke Horror. Nein, da hatte ich lieber gelegentlich Hämatome und Schmerzen. Das versuchte ich auch Tommy klarzumachen.
»Du weißt genau, wie ich über Krankenhäuser und die ganzen Untersuchungen denke. Ich habe Angst davor, ich schaff das ei n fach nicht!« Tommy schüttelte mit dem Kopf und griff wieder an mein verletztes Handgelenk.
»Sieh dir das an! Als hätte man dich festgebunden! Die Prellung geht rundherum. Stella, deine Verletzungen häufen sich , die Abstä n de werden immer kürzer, das kannst du nicht so lassen ! Wenn dir irgendetwas passiert, was wird dann aus deiner Mutter?«, fragte er vorwurfsvoll und hatte damit ins Schwarze getroffen.
Nein, passieren durfte mir nichts. Das würde meine Mutter diesmal nicht überleben. Zu viele schwere Schicksalsschläge mussten wir schon verkraften. Vor Jahren traf uns das erste große Unglück, ich war damals gerade vier.
Meine Schwester Tessa war zu dieser Zeit sieben Jahre, als sie mitten in der Nacht spurlos verschwand. Meine Mutter ist nie darüber hinweggekommen. Seit Tessas Verschwinden vor fünfzehn Jahren hat sie nie wieder geredet. Mit meiner Schwester ist auch die Sprache meiner Mutter gegangen.
Ich stimmte Tommy zu, ich musste besser auf mich aufpassen. »Ja, du hast recht, es geschieht wirklich immer öfter. Im Dezember einmal, im Januar gleich zweimal und jetzt schon wieder. Aber was soll ich dagegen tun? Vielleicht müsste jemand bei mir schlafen . «
»Ich würde gerne bei dir schlafen«, sagte er spitzbübisch und l
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