Super Sad True Love Story
Grad, um die Totalität dessen zu erfassen, was aus meiner Stadt geworden war. «Wir beide werden hier nicht überleben, Eunice. Das kann niemand mehr. Nur Leute mit Blut an den Händen.»
«Was für ein Pathos», sagte Eunice. Und wie sie es sagte, nicht bloß mitleidlos, sondern selbstsicher, ließ mich dasSchlimmste befürchten. Sie verfügte über etwas, von dem ich nichts wusste oder das ich womöglich nur zu gut kannte.
Wir gingen auf einem asphaltierten Weg in Richtung Süden, machten um die Sheep Meadow, wo wir uns in New York zum ersten Mal länger geküsst hatten, und all die anderen lauschigen grünen, herzerwärmenden Stätten unserer Liebe einen großen Bogen. An der Straße Central Park South, vor der Häuserzeile mit den neuentstandenen Triplex-Wohnungen, die vor der Umgestaltung das Plaza Hotel mit seinem Mansardendach gewesen war, schauten wir, umgeben von Pferdeäpfelhaufen, die den Übergang von Gras und Bäumen zur problembeladenen Stadt markierten, zurück in den Park.
«Ich muss los», sagte sie.
«Ich bringe dich zur Arbeit, ja?» Da stand ich, wollte nicht eine Minute mit ihr verlieren, denn ich spürte das Ende näher kommen. «Sieh mal, die Taxis sind wieder da! Halleluja! Nehmen wir eins. Ich zahle.»
An der Elizabeth Street ließ ich Eunice aussteigen, vor dem Konsumladen, in dem sie dank Joshies Beziehungen jetzt wiederverwendbare Lederarmbänder mit avantgardistischen Darstellungen enthaupteter Buddhas und der Aufschrift BRUCH NYC für zweitausend Yuan das Stück verkaufte. Ich versteckte mich hinter dem Stamm eines erschöpften Stadtbaums und beobachtete sie. Sie arbeitete mit einem anderen Mädchen zusammen, einer dunkelhaarigen, üppigen Vertreterin von Bostons irischer Diaspora, sowie der Geschäftsführerin des Ladens, einer viel älteren Frau, die gelegentlich auftauchte, um ihren beiden Untergebenen mit dem Finger vor die Brust zu stoßen und sie in argentinisch gefärbtem Englisch anzuknurren. Ich sah Eunice arbeiten – gründlich fegte sie den Laden mit einemhübschen thailändischen Strohbesen, kam den Fragen der abenteuerlustigen chinesischen und französischen Touristen, die hereinschauten, beflissen zuvor und parierte sie mit breitem Lächeln, rechnete die Verkäufe am Ende des Tages auf einem alten Äppärät zusammen und wartete dann, wenn der letzte Yuan und der letzte Euro verbucht waren, dass das Ladengitter heruntergelassen wurde, damit sie mit dem Lächeln aufhören und ihre übliche Miene tiefen, absoluten Missvergnügens aufsetzen konnte.
Eine Limousine hielt am Bordstein, schob ihre Schnauze aggressiv zwischen zwei parkende Wagen. Ein Mann sprang aus der hinteren Tür, seine kräftigen Beine trugen ihn in den Laden. War er es? Der Hinterkopf geschoren, kugelrund, rosig. Ein Sportjackett aus Kaschmir, ein bisschen zu gediegen und teuer. Der Gang? Dieses unsichere Gleichgewicht, das mich als Erstes für ihn eingenommen hatte? Ich wusste es nicht genau. Und wennschon. Aber wenn er nun hergekommen war, um sie zu sehen? Er hatte ihr schließlich den Job besorgt. Wollte einfach nur überprüfen, wie sich seine Investition entwickelte. Im Laden sah ich sie mit dem Mann sprechen, zu ihm aufschauen. Diese Augen. Wenn sie wichtige Informationen aufnahmen, verengten sie sich und zwinkerten nicht mehr. Und dann die Neigung des Kinns. Anbetend.
Ich ging in eine benachbarte Bar, die sich eines dämlichen gallischen Mottos rühmte, und fing an, mit irgendwelchen Arschlöchern zu trinken, von denen einer ebenfalls Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion hatte und ebenfalls auf Russisch Ljonja und auf Englisch Lenny hieß. Er war Gemmologe und besaß die Staatsbürgerschaft sowohl Belgiens als auch HeiligPetroRusslands, ein großer, kräftiger Bursche mit eigenartig feinen Händen sowie dem vorhersehbaren Humor und der natürlichen Kontaktfreude, diemir schon immer abgingen. Der Abend endete damit, dass mein Doppelgänger mir wie der ältere Bruder, den ich nie hatte, zweimal in den Magen boxte – zufällig hatten wir uns über die Rolle der Familie in unserem Leben gestritten – und mich dann freundlicherweise in ein Taxi setzte, aus dem ich beim Aussteigen direkt in eine unschuldige Upper-East-Side-Hecke vor dem einstigen Schwesternheim stürzte, unserer Bleibe, und dort, in der Düsternis des Novemberanfangs, genoss ich ein kurzes Koma, den ersten richtigen Schlaf seit Wochen.
Der Herbst kam, als der Altweibersommer schließlich doch zu Ende ging, und die versehrte
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