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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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unser beider Leben zu überbrücken; die Lacan’schen und feministischen Bände, die einen guten Eindruck machen sollten, wenn potenzielle Freundinnen zu Besuch kamen (als hätte sich noch irgendjemand für Texte interessiert, als ich zu studieren anfing).
    Ich ließ die Bücher in die Kartons fallen, und Eunice eilte herbei und packte sie neu, weil ich sie nicht optimalhineinstapelte, ja weil ich total unfähig war, mit Gegenständen umzugehen und aus dem Minimum das Maximum herauszuholen. Fast drei Stunden arbeiteten wir schweigend nebeneinander, wobei Eunice mir Anweisungen gab und mich schalt, wenn mir ein Fehler unterlief, während sich die Bücherwand allmählich leerte und die Kartons unter der Last von dreißig Jahren Lesestoff zu ächzen begannen, der Gesamtheit meines Lebens als denkender Mensch.
    Eunice. Ihre starken kleinen Arme, das tiefe Rot der Anstrengung auf ihren Wangen. Ich war ihr so dankbar, dass ich ihr am liebsten ein klein wenig Schmerz zugefügt und sie dann um Verzeihung angefleht hätte. Ich wollte vor ihren Augen schuldig werden und es eingestehen, damit auch sie die moralische Überlegenheit des Rechthabens genießen konnte. Der ganze Zorn auf sie, der sich in den letzten Monaten angestaut hatte, löste sich auf. Stattdessen schoss ich mich mit jedem Stapel Bücher, der in ein Kartongrab purzelte, auf ein neues Ziel ein. Ich spürte die Schwäche dieser Bücher, ihre Substanzlosigkeit, spürte, dass sie es nicht geschafft hatten, die Welt zu verändern, und ich wollte nicht mehr, dass ihre Schwäche auf mich abfärbte. Ich wollte meine Energien auf andere Dinge richten, die fruchtbarer und einem bedeutsamen Leben förderlich waren.
    Anstatt also einen weiteren Stapel von der Bücherwand zu holen, trat ich in einen von Eunice’ Wandschränken. Ich sichtete ihre intimsten Kleidungsstücke, schaute die Etiketten an, bewegte beim Lesen die Lippen, als sagte ich ein Gedicht auf: 32A, XS, JuicyPussy, TotalSurrender, himmelblauer durchbrochener Samt. Dem Schuhschrank entnahm ich zwei glitzernde Paare und ein etwas alltäglicheres zwischen Halbschuh und Sneaker, das Eunice gern bei Parkspaziergängen trug, und nahm sie mit in die Küche.Dort hielt ich sie Eunice lächelnd hin. «Sehr viele Kartons haben wir nicht mehr», sagte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. «Nur die Bücher», sagte sie. «Für mehr haben wir keinen Platz. Sie bringen uns in eine Wohnung irgendwo nördlich von hier, weil du für Joshie arbeitest.» Sie legte das Klebeband zur Seite und goss mir eine Tasse Kaffee aus der Cafetière ein, veredelt mit Sojamilch aus dem Kühlschrank, der bald nicht mehr mir gehören würde.
    «Auf alle Fälle sollten wir dran denken, all deine Haarbürsten von Mason Pearson mitzunehmen», sagte ich, nahm einen Schluck und reichte ihr die Tasse. Zustimmend strich sie über ihre dichte Mähne. Wir küssten uns, zwei Münder, Kaffeeatem. Ihre Augen waren geschlossen, doch ich hatte meine auf; «Nicht schummeln!», hatte sie immer gerufen, wenn sie mich dabei erwischte. Ich drückte meine Nase auf ihre Sommersprossen-Galaxie, manche orange, manche braun, manche groß wie Planeten, manche nur feiner, schwebender Weltraumschutt. «Wie soll ich dich gehen lassen?», fragte ich.
    Sie wich zurück. «Was meinst du damit?»
    «Nichts.» Was
meinte
ich eigentlich? Meine Schläfen waren heiß, meine Füße kalt wie Eis. Die Aufzüge waren voller alter Menschen und deren Sachen, aber wir bekamen die Kisten nach unten ins Foyer, wo Eunice sich Mühe gab, den Alten mit ihren Medikamentenbeuteln, mit ihren verhakelten Strumpfwaren, mit den vielen goldgerahmten Familienfotos von vereinten großen und kleinen Juden zu helfen. Wir schoben meine eingepackte Bibliothek mit den Füßen hinaus auf den Rasen, auf die Hyundai-Limousine zu.
     
    Erster November. Oder um den Dreh. Wir wurden in zwei Zimmer in der Upper East Side umquartiert, ein kastenförmigesSchwesternheim aus den 1950ern an der York Avenue, das an ein im Regen liegengebliebenes Puzzle erinnerte. Die Flure teilten wir uns mit anderen umgesiedelten jungen Leuten von Staatling-Wapachung, doch sobald sie einen Blick durch unsere Tür geworfen und gesehen hatten, dass jeder Quadratzentimeter unserer beiden Zimmer mit Büchern vollgestopft war, schalteten sie auf «weiträumig ausweichen» und mieden sogar Eunice, ihre Zeitgenossin in jeder Hinsicht.
    An dem Tag, als in den Medien gezeigt wurde, wie die Genossenschaftshäuser an der Grand Street, meine

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