Super Sad True Love Story
zur Verfügung.»
«Das ist doch gequirlte Scheiße», sagte ich. «Ihr baut hier einfach dreigeschossige Luxuswohnungen hin. Wozu lügen, Kumpel?»
Er ließ mich stehen, und ich folgte ihm durch das Getümmel alter Frauen, die sich auf Gehhilfen aus dem Foyer drängten, einige der noch beweglicheren Babuschkas schoben diejenigen in Rollstühlen, ein allgemeines Jaulen, eher depressiv als empört, bildete über dem Exodus eine Art akustischen Baldachin. Die jüngeren, zornigeren Menschen, die hier wohnten, waren wahrscheinlich alle bei der Arbeit. Deswegen warf man uns auch um die Mittagszeit hinaus.
Ich war kurz davor, den Kopf des jungen Staatling-Typen gegen den Zementputz meines geliebten Gebäudes zu schlagen, meiner schlichten Zuflucht, meines bescheidenen Heims. Ich spürte, wie die Wut meines Vaters ein gerechtfertigtes Ziel fand. Dieses Sirren in meinem Kopf hatte etwas Abramov’sches, dieses ständige Schwanken zwischen Aggression und Opferhaltung. «Die Freuden des Basketballspiels». Die Masada. Ich packte den jungen Mann an der mageren Schulter und sagte: «Sekunde mal, Freundchen. Das Haus gehört nicht dir. Das ist
Privatbesitz
.»
«Machst du Witze, Opa?», sagte er und schüttelte meinen fast vierzigjährigen Griff locker ab. «Fass mich noch einmal an, und ich reiß dir den Arsch auf, ich schwör’s.»
«Na schön», sagte ich. «Dann reden wir wie Menschen darüber.»
«
Ich
rede wie ein Mensch. Der Zickige hier bist du. Du hast einen Tag, deinen Scheiß da rauszuholen, sonst wird er mit dem Haus zusammen abgerissen.»
«Ich habe Bücher dadrin.»
«Wen?»
«Gebundene, gedruckte Medienerzeugnisse. Manche davon sind sehr bedeutend.»
«Ich glaube, mir kommt grad das Mittagessen hoch.»
«Okay, aber was ist mit
denen
?» Ich zeigte auf meine alten Nachbarinnen, die ins Sonnenlicht schlurften, Sommerkleider tragende Witwen mit Strohhüten, die vielleicht nur noch ein paar Jahre zu leben hatten.
«Die werden in leerstehende Häuser in New Rochelle umgesiedelt.»
«New Rochelle? Leerstehende Häuser? Wieso schafft ihr sie nicht gleich zum Schlachthof? Ihr wisst genau, dass diese alten Leute außerhalb von New York nicht überleben können.»
Der junge Mann verdrehte die Augen. «Das kann einfach nicht wahr sein, was wir hier reden», sagte er.
Ich rannte in das mir vertraute Foyer, wo die beiden Fichten im Kreis, das Symbol der Genossenschaftsbewegung, in den sorgfältig gebohnerten, glänzenden Boden eingelegt waren. Alte Menschen saßen auf zusammengeschnürten Bündeln, warteten auf Anweisungen, warteten auf die Deportation. Zwei Uniformierte von Wapachung trugen eine alte Frau, ich musste an Bat-Mizwas denken, auf ihrem Stuhl aus dem Aufzug, und ihr verquollenes, schniefendes Gesicht konnte ich nicht ertragen. «Mister, Mister», skandierten einige ihrer Freundinnen und streckten die verdorrten Arme nach mir aus. Sie kannten mich aus den schlimmsten Zeiten des Bruchs, als Eunice zu ihnen gekommen war und sie gewaschen, ihre Hände gehalten,ihnen Hoffnung gegeben hatte. «Können Sie denn nichts tun, Mister? Kennen Sie nicht jemanden?»
Ich konnte ihnen nicht helfen. Konnte meinen Eltern nicht helfen. Konnte Eunice nicht helfen. Und auch nicht mir selbst. Ich ließ die Fahrstühle links liegen und rannte die sechs Treppen hinauf, stolperte nur noch halb lebendig ins Mittagslicht, das meine 70 Quadratmeter durchflutete. «Eunice, Eunice!», rief ich.
Sie trug eine Jogginghose und ihr Elderbird- T-Shirt , Hitze stieg von ihrem Körper auf. Überall auf dem Boden standen Pappkartons, die sie aufgefaltet hatte, manche waren schon zur Hälfte mit Büchern gefüllt. Wir umarmten einander, und ich versuchte, sie ausgiebig zu küssen, doch sie schob mich weg und deutete auf die Bücherwand im Wohnzimmer. Sie gab mir zu verstehen, dass sie noch mehr Kartons auffalten werde, die ich dann weiter mit Büchern füllen solle. Ich ging ins Wohnzimmer und stand dem Sofa gegenüber, auf dem Eunice und ich uns beim zweiten und dritten Mal geliebt hatten (die erste Runde war an das Schlafzimmer gegangen). Ich trat ans Regal und nahm einen Armvoll Bücher heraus – ein paar von den Fitzgeralds und Hemingways und dergleichen, die ich im Grundstudium an der NYU zusammen mit einem imaginären Glas Pernod verschlungen hatte; die muffigen, spröden sowjetischen Bücher (Durchschnittspreis 1 Rubel und 49 Kopeken), die mir mein Vater geschenkt hatte, um damit den unergründlichen Graben zwischen
Weitere Kostenlose Bücher