Super Sad True Love Story
angestupst!»). Ich genoss es, aus dem Mund dieser Kinder tatsächlich
gesprochene
Sprache zu hören. Verstiegene Verben, explosive Substantive, herrlich verhaspelte Pronomina. Sprache, keine Daten. Wie lange würde es noch dauern, bis sich diese Kinder ins konzentrierte Klickklack der Äppärätwelt zurückzogen, die ihre Mütter und die abwesenden Väter bereits aufgesogen hatte?
Dann entdeckte ich eine gesund aussehende alte Chinesin, die ebenfalls zu feiern war, und folgte ihr in einer Geschwindigkeit von etwa hundert Metern in der Stunde die Grand Street und dann den East Broadway entlang, sah ihr dabei zu, wie sie exotische Knollen befühlte und silbrige Fische hin und her klatschte. Sie kaufte mit vorstädtischer Hingabe alles, was sie in die Finger bekam, und rannte nach jedem Erwerb auf die andere Straßenseite, um sich neben einen der hölzernen Telegraphenmasten zu stellen, die jetzt die Straßen säumten.
Mein Modefreund Sandi hatte mir in Rom von den Kreditmasten erzählt und von ihrem coolen Retro-Design geschwärmt, vom eigens mit Astlöchern versehenen Holz und den bunten Lichterketten, die anstelle von Telefonleitungen zwischen den Masten hingen. Das altmodische Erscheinungsbild der Pfähle sollte offenbar an eine stabilerePhase unserer Nationalgeschichte erinnern, abgesehen von der kleinen LE D-Anzeige auf Augenhöhe, die die Bonität von jedem anzeigte, der vorbeiging. An der Spitze der Masten flatterten AR R-Transparente in mehreren Sprachen. Wo der East Broadway durch Chinatown führte, stand auf Englisch und Chinesisch «Amerika feiert seine Verschwender!», darüber die Zeichnung einer geizigen Ameise, die fröhlich auf einen Berg bunt eingepackter Weihnachtsgeschenke zurennt. An den Latino-Abschnitten der Madison Street war auf Englisch und Spanisch zu lesen: «Heb dir was für schlechte Tage auf,
huevón
!» Darunter ein stirnrunzelnder Grashüpfer im Zoot Suit, der seine leeren Taschen vorzeigt. Im Wechsel waren Transparente in allen drei Sprachen aufgehängt:
Das Boot ist voll
Schützt euch vor Deportation
Latinos, spart!
Chinesen, gebt Geld aus!
Haltet eure Bonität IMMER im Rahmen
AMERIKANISCHE RESTAURATIONSREGIERUNG
«GEMEINSAM WERDEN WIR DIE WELT VERBLÜFFEN!»
Ich verspürte ein flüchtiges liberales Schaudern angesichts dieser eklatanten Stereotypisierung ganzer Ethnien, aber mich ergriff auch ein voyeuristisches Interesse an der Bonität der Passanten. Die alte Chinesin lag bei anständigen 1400 Punkten, doch bei anderen wie den jungen Latina-Müttern und sogar einem liederlichen chassidischen Teenager, der die Straße entlanghechelte, blinkten rote Zahlen unter 900 auf, und ich machte mir Sorgen um sie. Ich ging an einem der Masten vorbei, ließ ihn Daten aus meinemÄppärät ziehen und sah meine eigene Punktzahl – beeindruckende 1520. Doch daneben blinkte ein rotes Sternchen.
Hatte der Otter mich immer noch kaltgestellt?
Ich schickte Nettie Fine eine GlobalTeens-Nachricht, doch als Antwort kam bloß ein verstörendes «EMPFÄNGER GELÖSCHT». Was mochte das bedeuten? Niemand wird überhaupt
jemals
aus GlobalTeens gelöscht. Ich versuchte, sie mit GlobalTrace aufzuspüren, doch die Antwort war noch beängstigender: «EMPFÄNGER UNAUFFINDBAR/INAKTIV». Welcher Mensch konnte auf diesem Planeten
nicht
gefunden werden?
In Rom hatte ich mich mit Sandi oft zum Mittagessen bei da Tonino getroffen, und wir hatten uns darüber unterhalten, was wir von Manhattan am meisten vermissten. Bei mir waren es die mit Schweinefleisch und Frühlingszwiebeln gefüllten frittierten Teigtaschen an der Eldridge Street, bei ihm die herrischen älteren schwarzen Frauen im Gaswerk oder Arbeitsamt, die ihn «Schätzchen» oder «Süßer» oder gar «Baby» nannten. Er meinte, das habe mit Schwulsein nichts zu tun, vielmehr hätten diese farbigen Frauen auf ihn eine beruhigende und entspannende Wirkung, als würde ihm auf einmal die mütterliche Liebe einer Wildfremden zufliegen.
Ich glaube, genau das wollte ich in dem Moment auch, da Nettie Fine «INAKTIV» war, mich von Eunice sechs Zeitzonen trennten, die Kreditmasten jeden Menschen auf eine mehrstellige Zahl reduzierten, ein unschuldiger Dicker aus einem Flugzeug gezerrt wurde und Joshie mir mitteilte, über «zukünftiges Gehalt + Beschäftigung = lass uns reden»: Ich wollte ein bisschen mütterliche Liebe.
Ich stapfte den Ostteil der Grand Street auf und ab und versuchte mich zu orientieren, meine frühere
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