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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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(möge es ihr wohl ergehen, wo immer sie sich aufhält).
    Ich stellte mich hinter sie, während sie goldene Kressetupfenauf einer Steppe von Schnittkohl arrangierte. Ich legte ihr die Hände auf die kräftigen Schultern, sog ihre säuerliche Vitalität ein. Sie schmiegte ihre heiße Wange an eins meiner Handgelenke, und die Geste wirkte so vertraut, als hätten wir uns schon vor unserem derzeitigen Leben gekannt. Ihre bleichen Schenkel erblühten aus züchtigen Khakishorts, und ich erinnerte mich daran, dass ich
feiern
wollte, in diesem Fall jeden Quadratzentimeter von Kellys Unvollkommenheit. «Hey», sagte ich, «Vasily Greenbaums Zug fällt aus? Er hat Gitarre gespielt und ein bisschen Arabisch gesprochen. Er war so was von ‹bereit, sich einzubringen›, wenn er nicht gerade total depressiv gewesen ist.»
    «Er ist letzten Monat vierzig geworden», sagte Kelly und seufzte. «Hat die Quoten nicht erreicht.»
    «Ich bin auch fast vierzig», sagte ich. «Und wieso taucht mein Name nicht auf den Tafeln auf?»
    Kelly schwieg. Sie zerteilte mit einem stumpfen Sicherheitsmesser Blumenkohl, Tropfen perlten auf ihrer weißen Stirn. Kelly und ich hatten uns einmal in einer Tapas-Bar in Brooklyn eine ganze Flasche Wein – oder «Resveratrol», wie wir Posthumanen ihn nennen – geteilt, und nachdem ich sie zu ihrem Mietshaus im Problemviertel Bushwick begleitet hatte, fragte ich mich, ob ich mich wohl je in eine so unaufdringlich und fast zwanghaft anständige Frau würde verlieben können (Antwort: nein).
    «Wer ist denn von der alten Gang noch da?», wollte ich mit zitternder Stimme wissen. «Jami Pilsners Namen habe ich auch nicht gesehen. Oder den von Irene Po. Wird man uns alle feuern?»
    «Howard Shu macht sich bestens», teilte mir Kelly mit. «Ist grad befördert worden.»
    «Na toll», sagte ich. Von all jenen, die noch in Lohn und Brot standen, musste es ausgerechnet dieser stromlinienförmige5 6-kg -Drecksack Shu sein, der mit mir an der New York University studiert und mich in den letzten zehn, zwölf Jahren in allen gnadenlosen Wettbewerben des Lebens übertrumpft hatte. Um ehrlich zu sein, finde ich die Beschäftigten von Posthumane Dienstleistungen ein bisschen traurig, und in meinen Augen personifiziert der forsche, fehlerfrei funktionierende Howard Shu diese Traurigkeit. Die Wahrheit ist doch: Wir halten uns vielleicht für die Zukunft, aber wir sind sie nicht. Wir sind Bedienstete und Lehrlinge, keine unsterblichen Klienten. Wir halten unsere Yuans zusammen, wir schlucken brav unsere Nährstoffe, wir stechen uns und bluten und messen die dunkelrote Flüssigkeit auf tausenderlei Arten, wir tun alles außer beten, aber am Ende sind wir doch dem Tod geweiht. Ich könnte mein Genom und mein Proteom auswendig lernen, ich könnte Nahrungskrieg gegen meine schadhaften ApoE 4-Allele führen, bis ich selbst zu einem wandelnden Kreuzblütlergemüse werde, doch nichts kann meinen schlimmsten genetischen Defekt heilen:
    Mein Vater ist ein Hausmeister aus einem armen Land.
    Howard Shus Vater verkauft in Chinatown auf der Straße winzige Schildkröten. Kelly Nardl immerhin ist reich, aber nicht reich genug. Die Reichtumsskala, mit der wir aufgewachsen sind, greift nicht mehr.
    Kellys Äppärät leuchtete auf und tauchte sie in Licht, die Bedürfnisse von hundert Klienten überspülten sie. Nach der alltäglichen Dekadenz Roms wirkten unsere Büros karg. Alles war in sanften Farben und dem gesunden Glanz natürlicher Hölzer gehalten, die Bürotechnik, sofern sie nicht gerade benutzt wurde, von Tschernobyl-artigen Sarkophagen abgeschirmt, und hinter japanischen Wandschirmen verbargen sich Alphawellen-Simulatoren, die unsere hyperaktiven Hirne mit besänftigenden Strahlen streichelten. Hier undda hingen humorvolle Ratschläge in kleinen Rahmen. «Sag einfach nein zu Speisestärke.» – «Kopf hoch! Pessimismus bringt einen um.» – «Zellen mit verlängerten Telomeren machen’s möglich.» – «DIE NATUR KANN VIEL VON UNS LERNEN.» Und in der Brise über Kelly Nardls Schreibtisch flatterte ein Steckbrief, auf dem einem Cartoon-Hippie mit einem Brokkolistrunk eins übergebraten wurde:
     
    GESUCHT
    wegen Elektronendiebstahl DN S-Zerstörung und böswilliger Zellbeschädigung
     
    ABBIE «FREIER RADIKALER» HOFFMAN
    WARNUNG: Der Gesuchte ist womöglich bewaffnet und gefährlich Versuchen Sie nicht, ihn festzusetzen Benachrichtigen Sie umgehend die zuständigen Behörden und steigern Sie die Zufuhr des Koenzyms

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