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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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pirschte sich an mich heran. «Mach deinen Äppärät aus», sagte er.
    «Hä?»
    Er griff nach meinem Anhänger und schaltete ihn selbst ab. Unsere Blicke trafen sich, und sogar durch den Nebel meiner Trunkenheit bemerkte ich, dass mein Freund imGrunde genommen nüchtern war. «Ich glaube, Noah könnte von der ARR sein», flüsterte er.
    «Was?»
    «Ich glaube, er arbeitet für die Überparteilichen.»
    «Bist du verrückt?», fragte ich. «Und was ist mit seinem ‹Rubenstein-Zeit in Amerika›? Mit ‹Stunde null›?»
    «Ich meine ja nur: Pass auf, was du in seiner Gegenwart sagst. Vor allem, wenn er seine Show streamt.»
    Mein Urinfluss versiegte ganz von selbst, und meine Prostata schmerzte heftig.
Sich um Freunde kümmern, sich um Freunde kümmern
, so klang das Mantra in meinem Kopf. «Verstehe ich nicht», murmelte ich. «Aber er ist immer noch unser Freund, oder?»
    «Die Leute werden heutzutage zu allem Möglichen gezwungen», sagte Vishnu. Er senkte die Stimme noch weiter. «Wer weiß, wofür sie ihn drangekriegt haben. Seine Bonität ist total den Bach runter, seit er Amy Greenberg sticht. Halb Staten Island kollaboriert. Jeder sucht Unterstützung, Schutz. Du wirst schon sehen, wenn die Chinesen ans Ruder kommen, wird Noah denen in den Arsch kriechen. Du hättest in Rom bleiben sollen, Lenny. Scheiß auf diesen Unsterblichkeitsquatsch. Wird bei dir sowieso nichts mehr. Guck uns doch an. VPPs sind wir bestimmt nicht.»
    «Aber auch keine Vermögensschwachen!», protestierte ich.
    «Spielt doch keine Rolle. Wir sind Paradebeispiele für die Schadensreduzierung. Diese Stadt kann uns nicht brauchen. Letzten Monat haben sie den öffentlichen Nahverkehr privatisiert. Die Sozialwohnungen werden abgerissen. Auch deine schicken jüdischen Genossenschaftswohnungen. Ende des Jahrzehnts werden wir in Erie, Pennsylvania wohnen.»
    Er musste die tödliche Wehmut bemerkt haben, die meine Züge entstellte. Er zog seinen Reißverschluss hoch und klopfte mir auf die Schulter. «Das eben über Eunice war echt gut gefühlt», sagte er. «Das lässt dich im CHARAKTE R-Ranking steigen. Und wer weiß, was mit Noah ist? Vielleicht irre ich mich ja. Habe mich schon oft genug geirrt. Sehr oft, mein Freund.»
    Ehe mich die Melancholie übermannen konnte, tauchte Vishnus Freundin Grace Kim auf, um ihn nach Hause zu schleifen, in ihr beschauliches, klimatisiertes Heim auf Staten Island, und weckte meine herzzerreißende Sehnsucht nach Eunice. Ich starrte Grace mit einem Verlangen an, das schon an Trauer grenzte. Da stand sie: intelligent, kreativ und zurückhaltend gekleidet (keine Onionskin-Jeans, um
ihre
schlanken Schätze zu präsentieren), den Kopf voller einprogrammierter guter Absichten und interessanter Langzeitvorhaben, dazu vorherbestimmt, ihren glücklichen Galan zu heiraten, und allzeit bereit, hübsche eurasische Kinder zu gebären – andere schien es in der Stadt ohnehin nicht mehr zu geben.
    Zusammen mit Noah wurde ich zu ihnen nach Hause auf einen Schlummertrunk eingeladen, aber ich schützte Jetlag vor und verabschiedete mich. Sie waren so reizend, mich zur Fährstation zu begleiten, aber nicht reizend genug, um mit mir dem Checkpoint der Nationalgarde zu trotzen. Ich wurde von müden, gelangweilten Soldaten vorschriftsmäßig durchsucht und befühlt. Ich leugnete alles und stimmte allem zu. Irgendeine metaphysische Frage beantwortete ich mit den Worten: «Ich möchte bloß nach Hause.» Das war nicht die richtige Antwort, aber ein Schwarzer, dem ein kleines goldenes Kreuz zwischen den spärlichen Brusthaaren baumelte, hatte Mitleid und ließ mich an Bord der Fähre gehen.
    Das Ranking anderer Passagiere streifte über den Bug, als die hässlichen, abgewirtschafteten Männer ihr Verlangen und ihre Verzweiflung über die Reling in die dunklen, gnadenlosen Wellen gefühlten. Rosa Nebel schwebte über dem Wohngebiet, das früher mal Finanzdistrikt hieß, und tauchte alles ins Imperfekt. Ein Vater küsste seinen winzigen Sohn immer und immer wieder mit trauriger Beharrlichkeit auf den Schädel, und wir alle, die wir schlechte oder gar keine Eltern hatten, waren noch einsamer.
    Wir betrachteten die Silhouetten von Öltankern, versuchten, die Wärme ihrer Tankräume zu erahnen. Die Stadt kam näher. Die drei Brücken, die Brooklyn und Manhattan verbinden,
eine
lange Halskette aus Licht, wurden allmählich einzeln erkennbar. Das Empire State Building knipste seine Stahlkrone aus und verbarg sich hinter einem unwichtigeren

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