Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
Vom Netzwerk:
xxx, Nettie Fine. PS: Ich verfolge total andächtig den Stream deines Freundes Noah Weinberg. Wenn ich wieder in den Staaten bin, würde ich zu gern mit ihm zu Mittag essen.»
    Als ich Netties Botschaft las, musste ich lächeln. Eine Frau Mitte sechzig, und sie war immer noch aktiv, immer noch bestrebt, unser Land verbessernd zu gestalten. Also gab es bestimmt noch
etwas
Hoffnung. Und wie zur Bestätigung meiner Gedanken plingte eine neue Meldung von CrisisNet herein: « LIBOR -SATZ STEIGT UM 32   BASISPUNKTE; DOLLAR GEGENÜBER YUAN UM 0,8   % AUFGEWERTET AUF 1¥ = $   4,92.» Konnten die Märkte recht haben? War das Massaker im Central Park ein Wendepunkt? Würde es sich gegen Rubenstein und seine Freunde kehren?
    Noch einmal las ich Nettie Fines Nachricht. Sie baute auf, aber irgendwie klangen die Worte leicht daneben.
Die echte Action gibt es im Tompkins Square Park.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie die Wörter «echte Action» über Netties achtsame, intelligente Lippen kamen. Was war mit ihr geschehen?
Der Otter.
Ich teente Fabrizia in Rom. «EMPFÄNGER GELÖSCHT.» Meinetwegen, ich musste aufhören, mirSorgen zu machen. Vor meiner Nase hatte sich ein echtes Massaker ereignet. Vergiss die Alte Welt. Ich war weder für Nettie noch für Fabrizia verantwortlich. Sondern einzig und allein für Eunice Park.
    Im Cervix hatte sich das Schockschweigen inzwischen in allgemeine Frivolität und wohleinstudierte Empörung aufgelöst: Die Leute warfen mit fast wertlosen, nicht gekoppelten Dollars um sich und schütteten sich mit belgischen Bieren zu. Ich erinnere mich nur, dass mir etwas heiß an den Schläfen wurde und ich Euny näher sein wollte. Es hatte ein bisschen geknirscht zwischen uns nach meinem Rückfall ins Bücherlesen, bei dem sie mich erwischt hatte, nicht bloß beim Scannen nach Informationen, sondern bei der richtigen Lektüre. Da jetzt nur wenige Kilometer nördlich Gewalt ausbrach, wollte ich nicht, dass irgendwas mich von meiner Liebsten trennte, schon gar nicht eine zweibändige Ausgabe von Tolstois
K&F
.
    Noah fing gleich an zu streamen, seine Freundin Amy Greenberg war schon live auf Sendung. Sie lüftete ihre Bluse, um die kaum merkliche Speckrolle vorzuführen, die oberhalb ihrer perfekten Beine aus ihrer perfekten Jeans quoll, ihr sogenanntes
Hüftgold
; sie klatschte drauf und sprach ihre Erkennungszeile: «Hey, Freundin, haste Hüftgold?»
    «Es ist Rubenstein-Zeit im Central Park», sagte Noah. «Zeit der Schadensreduzierung, des Totalausverkaufs, des Alles-muss-raus, des ‹Diese Preise sind der Wahnsinn› in Amerika, und R-stein fühlt sich erst wohl, wenn alle Nigger und Chicos aus unserer Stadt gejagt sind. Er schmeißt Bomben auf unsere Mütter, so wie Chrissy Columbus Viren auf die Rothäute losgelassen hat,
cabróns
. Erst die Erschießungen, dann Razzien. Die Hälfte der Mamis und Papis in dieser Stadt werden vor Ende der Woche in einer sicheren Beobachtungseinrichtung in Utica einsitzen. Haltet eureÄppäräte lieber von den Kreditmasten fern   …» Er machte eine Pause und sah sich die Rohdaten an, die ihm entgegenstreamten. Dann wandte er sein müdes, professionell schauspielerndes Gesicht in unsere Richtung, wusste nicht genau, welche Emotion er als Nächstes aufrufen sollte, und konnte doch den instinktiven Kitzel nicht verhehlen. «Achtzehn Leute sind tot», sagte er, als hätte er sich selbst überrascht. «Sie haben achtzehn erschossen.»
    Die Erregung in seiner Stimme beschäftigte mich: Und wenn Noah sich nun heimlich freute? Und wenn wir uns alle freuten? Wenn diese Gewalt unsere kollektive Furcht nun dahingehend kanalisierte, dass wir einen Augenblick der Klarheit erlebten, der Klarheit, in einer Endzeit am Leben zu sein, der Freude, durch Zeitgenossenschaft historische Bedeutung zu gewinnen? Ich sah mich schon aufgeregt erklären, dass ich diesen toten Busfahrer Aziz im Central Park gesehen, vielleicht sogar ein Lächeln oder ein urbanes
Wasgeht
mit ihm getauscht hatte. Versteh mich nicht falsch, Tagebuch, auch ich spürte den Schrecken, aber ich fragte mich zum Beispiel, was diese sicheren Beobachtungseinrichtungen eigentlich waren, von denen Noah ständig redete. Wurde Menschen dort tatsächlich ohne Verhandlung in den Hinterkopf geschossen? Ich hatte Noah mal darauf hingewiesen, dass die
New York Lifestyle Times
früher richtige Korrespondenten beschäftigte, die loszogen und berichteten und verifizierten, aber er hatte mir bloß so einen «Fang bloß nicht damit

Weitere Kostenlose Bücher