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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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mehr. Es wird Zeit, dass die Chinesen
Geld ausgeben
.» Herr Li nickte abwesend und setzte sein breites, nichtssagendes Lächeln auf. Dann sagte Präsident Cortez einige Worte auf Chinesisch, die folgendermaßen übersetztwurden: «Okay, jetzt Geld auszugeben! Los, Spaß haben!»
    «Ach du Scheiße.» Vishnu fingerte hektisch an seinem Äppärät herum. «Da ist was im Gange, Nee-ger!» Wir konnten ihn bei dem Lärm in der Bar kaum verstehen. Die jungen Leute tranken immer mehr, ein paar Frauen entkleideten sich nervös, während Eunice Park den leichten Pullover enger um ihre Schultern zog und sich die von der Klimaanlage abgekühlte Nase rieb. «Im Central Park gibt es Unruhen», sagte Vishnu. «So ein Schwarzer kriegt von der Garde den Arsch versohlt, und lauter andere Vermögensschwache werden auch brutal verdroschen.»
    Die Neuigkeiten vom Massaker im Central Park verbreiteten sich in der Bar. Noch streamte niemand live, aber es flackerten schon Images auf unsere Äppäräte und auf die in der Bar installierten Großbildschirme. Ein Teenager (jedenfalls wirkte er mit seinen unbeholfenen, schlaksigen Beinen so) mit abgewandtem Gesicht und einer roten Höhlung, die aus seiner Körpermitte geschnitten war, krümmte sich wie ein überfahrenes Tier auf dem weichen grünen Buckel eines Hügels. Die Leichen von drei Männern und einer Frau (einer Familie?) lagen auf dem Rücken, ihre nackten schwarzen Arme ungestüm über die Körper geworfen, als würden sie sich aufs Geratewohl selber umarmen. Und ein Mann, den ich zu erkennen glaubte – der arbeitslose Busfahrer, den Eunice und ich auf dem Cedar Hill gesehen hatten. Aziz Sonstwer. Ich erinnerte mich vor allem an seine Kleidung, an das weiße T-Shirt und die Goldkette mit dem übergroßen Yuan-Symbol. Was für eine seltsame Verschmelzung – ich hatte ihn lebend gesehen, wenn auch nur ein paar Augenblicke lang, und darüber schob sich jetzt ein Punkt, so groß wie eine Fünf-Jiao-Münze, der die obere Hälfte seiner langgezogenen braunen Stirn durchbohrthatte, rotes Blut färbte sich auf den Gliedern seiner schweren Kette rostbraun, die Zähne waren zusammengebissen, die Augen in ihren Höhlen schon nach oben verdreht. Ich brauchte einige Momente, bis ich in Worte fassen konnte, was ich sah –
einen toten Mann
  –, und genau da schwenkte die Kamera, und auf dem Bildschirm war der Himmel über dem Park zu sehen, das erhobene Hinterteil eines Hubschraubers, dessen Spitze wahrscheinlich zum tödlichen Schuss gesenkt war, und im Hintergrund rotes Leuchtspurfeuer, das die warme Dämmerung eines Sommertags erhellte.
    Schweigen senkte sich über das Cervix. Ich hörte nichts außer dem Geräusch, mit dem drei meiner gefühllosen Finger instinktiv den Deckel von meinem Xanax-Fläschchen abdrehten, und dann das Kratzen der weißen Pille, als sie durch meine trockene Kehle glitt. Wir ließen die Images auf uns einwirken und spürten als Gruppe von Menschen ähnlichen Einkommens die kurzen Ausbrüche existenzieller Angst. Diese Angst wurde zeitweise überlagert von plötzlichem Mitgefühl für diejenigen, die jedenfalls nominell unsere New Yorker Mitbürger waren. Wie war das wohl, zu den Toten oder Todgeweihten zu gehören? Mitten in der Stadt aus der Luft beschossen zu werden? Von einer Sekunde zur nächsten zu begreifen, dass die Familie um einen herum verreckte? Doch schließlich wurden Angst und Mitgefühl von einer anderen Gewissheit verdrängt. Der Gewissheit, dass es nicht uns passieren würde. Dass wir nicht Zeugen terroristischer Akte waren. Dass wir aus gutem Hause stammten. Dass die Geschosse unterscheiden würden.
    Ich teente Nettie Fine: «Hast du gesehen, was im Central Park passiert????»
    Trotz des Zeitunterschieds (in Rom musste es kurz nach vier Uhr morgens gewesen sein) teente sie sofort zurück:«Hab’s grade gesehen. Keine Sorge, Lenny. Das ist schrecklich, aber es wird sich GEGEN Rubenstein und seinesgleichen kehren. Im Central Park schießen sie, weil dort nicht genug Ex-Nationalgardisten sind. Auf ehemalige Soldaten werden sie nie losgehen. Die echte Action gibt es im Tompkins Square Park, und darüber berichten die Medien kein Stück. Da musst du mal hin und meinen Freund David Lorring kennenlernen. Ich habe in Washington posttraumatische Fälle betreut, und nach zwei Einsatzzeiten in Ciudad Bolívar ist er zu mir gekommen. Der organisiert da richtigen Widerstand. Toller Kerl. Na gut, ich muss mal ein bisschen schnorcheln, Süßer. Bleib stark!

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