Super Sad True Love Story
schlechtes Gewissen, weil ich mit solcher Medienbesessenheit nur an mein eigenes Leben dachte und so rasch die neuen Toten vergaß. Grace hatte recht. Die Zeiten, in denen wir leben.
Aber eins wusste ich: Niemals würde ich Netties Ratschlag folgen. Niemals würde ich mir diese Armen im Tompkins Square Park ansehen gehen. Wer wusste schon, was mit ihnen passieren würde? Wenn die Nationalgarde Leute im Central Park erschoss, warum sollte sie es dann nicht auch downtown tun? «Sicherheit geht vor», heißt es bei den Posthumanen Dienstleistungen. Unsere Leben sind wertvoller als die anderer Menschen.
Eine Hubschrauber-Armada flog Richtung Norden. Das ganze Gebäude erzitterte unter ihrer Wucht, Porzellan klirrte im Küchenschrank des Nachbarn, kleine Kinder weinten. Das schien Eunice zu erschrecken, und bald lag sie neben mir im Bett, suchte nach einer bequemen Lagean meinem größeren Körper, drückte sich so fest an mich, dass es wehtat. Ich bekam Angst, nicht so sehr wegen des Militäreinsatzes draußen (letztlich würden sie Menschen mit meinen Vermögenswerten schon nichts tun), sondern weil ich wusste, ich könnte sie nie verlassen. Egal, wie sie mich behandelte. Egal, wie schlecht es mir ihretwegen ging. Weil in ihrem Zorn und ihren Ängsten auch viel Vertrautes und Tröstliches lag. Weil ich diese südkalifornischen asiatischen Greenhorns besser verstand als die rechtschaffene Herzland-Verwandtschaft von Grace, dieses Verlangen nach Geld und Respekt, diese Mischung aus Ansprüchen und Selbstekel, diesen Hunger danach, bemerkt, bestaunt und bewundert zu werden. Weil mir, nachdem Vishnu mir erzählt hatte, dass Grace schwanger sei («
ha- haah
», lachte er unbeholfen, als er die Neuigkeit überbrachte), klarwurde, dass die letzte Tür vor meiner Nase zugeschlagen war. Weil Eunice im Gegensatz zur gewieften, cleveren Amy Greenberg keine Ahnung hatte, was sie eigentlich tat. Und ich auch nicht.
Tut mir leid, Tagebuch, ich bin heute ein völliges emotionales Wrack. Schlecht geschlafen letzte Nacht. Nicht mal meine besten Ohrstöpsel helfen gegen den Lärm der Rotorblätter draußen, und Eunice hat im Schlaf laute koreanische Verwünschungen gemurmelt, hat die niemals endenden Gespräche mit ihrem
appa,
Vater, fortgesetzt, dem Schurken, der für einen Großteil ihrer Kümmernisse verantwortlich ist, aber ohne dessen zornige Schläge ich mich wahrscheinlich nie in sie verliebt hätte und sie sich nicht in mich.
Doch mir fällt auf, dass ich auch einiges auslasse, Tagebuch. Ich will einige der schöneren Augenblicke beschreiben, die es immerhin gab, bevor die Unruhen derVermögensschwachen angefangen haben und an der Linie F die Checkpoints eingerichtet worden sind.
Manchmal gehen wir in koreanische Restaurants in Midtown und schlagen uns mit Reiskuchen in Chilisoße, knoblauchsattem Tintenfisch, beängstigenden Fischbäuchen, die vor salzigem Rogen platzen, und den unvermeidlichen kleinen Schälchen mit säuerlichem Kohl, eingelegten Steckrüben, Seegras und leckerem getrocknetem Rindfleisch die Bäuche voll. Wir essen auf asiatische Art – die Augen auf dem Teller, kräftiges Schlürfen am Tofu-Topf, leises Rülpsen, um unsere Freude am Essen zu erkennen zu geben, meine Hand greift nach einem Glas alkoholhaltigem
soju
, ihre nach einem zarten Tässchen
mugicha
, Gerstentee. Eine friedvolle Familie. Worte sind nicht nötig. Wir lieben einander und füttern einander. Sie nennt mich
kokiri
und küsst mich auf die Nase. Ich nenne sie
malischka
, «Kleine» auf Russisch, das nur darum ein verfängliches Wort ist, weil es früher meinen Eltern über die Lippen kam, damals, als ich noch keinen Meter groß und ihre Liebe zu mir wahr und unkompliziert war.
Und dazu noch die Wärme in koreanischen Restaurants, die endlose Prozession von Tellern, als könnte das Mahl nicht enden, ehe die ganze Welt verzehrt ist, das Geschrei und Gelächter nach dem Essen, die ungehemmte Trunkenheit der älteren Männer, das kichernde Geschnatter der jüngeren Frauen, und überall Familienbande. Wundert mich nicht, dass Juden und Koreaner sich so leicht auf Liebesbeziehungen einlassen. Sicher, wir wurden in verschiedenen Töpfen gekocht, aber in beiden Töpfen blubbern Nestwärme und die Vertrautheit, Neugier, Neurosen, die eine solche Nähe schafft.
Als wir in einem der lauteren Restaurants an der 32 nd Street zu Mittag aßen, sah Eunice einen Mann, der alleinan einem Tisch saß und zum Essen Coca-Cola trank. «Das ist so
Weitere Kostenlose Bücher