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Superdaddy: Roman (German Edition)

Superdaddy: Roman (German Edition)

Titel: Superdaddy: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sören Sieg
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die es bevölkerten, konnte es eigentlich nicht liegen.
    Lasse war großartig. Er war erst sieben, aber er schlug uns alle in Memory, Mühle und Gobang. Er konnte ganz fein zeichnen. Er bastelte stundenlang allein an seinem Schreibtisch Dinge, die er sich selbst ausgedacht hatte, Faltbücher, Pilzhäuser, Glasscherbenmobiles, Kochlöffelmännchen. Er hatte eine musikalische Begabung, die in Charlottes und meiner Familie gar nicht existierte. Er spielte Geige und hatte das absolute Gehör. Dabei war er zart und klein, den halben Winter über hustete er und litt unter Lippenbläschen. Er sollte sanft geboren werden, im Geburtshaus Altona, zu Schubertmusik auf indischen Kissen. Aber als die Herztöne abfielen, schoben uns die Geburtshausfrauen ins Krankenhaus ab, wo uns eine weißrussische Hebamme empfing, die im Kriegslazarett gelernt haben musste. Sie verpasste Charlotte einen Einlauf, hängte sie an einen Tropf mit Wehenmittel, sprengte ihre Fruchtblase und trieb Lasse binnen vier Stunden aus ihr heraus. Eine Stunde musste er unter einer Wärmelampe liegen, ehe er zu Charlotte durfte, eingehüllt in eine dicke, weiße Decke. Sein Kopf war blau angelaufen, seine Unterlippe zitterte. Ich sprach ruhig auf ihn ein in dieser Stunde, wollte ihm den Schock nehmen, aber er blickte mich nur unverwandt an mit riesigen braunen Augen. Seitdem hatte ich das Bedürfnis, ihn zu beschützen. Lasse hatte von uns allen die meisten Talente und die leiseste Stimme. Der Platz des lauten Vielsprechers war in unserer Familie schon vierfach besetzt. Also hörte er zu. Dabei hätten wir uns wahrscheinlich viel Streit erspart, wenn wir einfach ihn gefragt hätten.
    Linus war großartig. Er würde mal den Bestseller schreiben: Glücklich sein ohne Grund . Er kam jeden Morgen zu mir und sagte: »Papa, ich freu mich so!« – »Worüber denn?«, fragte ich. »Weiß ich auch nicht!«, sagte er. Aber so rätselhaft war das gar nicht. Er lebte immer auf etwas hin. Als wir Kinder waren, hatten wir Hobbys. Linus hatte Projekte. Er begann jedes halbe Jahr eine neue Sportart, entdeckte jeden Monat ein neues Computerspiel, über dessen Level er uns bei jeder Mahlzeit auf dem Laufenden hielt, brachte jede Woche einen neuen Freund mit nach Hause und wünschte sich jeden Tag ein neues Lego-Kampfflugzeug zum Geburtstag. Und saß dabei nie still. Er kletterte auf jeden Baum, jede Stange und jedes Gerüst, und es sah immer ganz leicht aus. Und ich lachte mich jedes Mal innerlich tot, wenn andere, ältere Kinder ihm hinterherkletterten und nach eineinhalb Metern feststellten, dass ihnen alles fehlte: die Muskeln, die Technik, das Talent.
    Luna war großartig. Sie hatte sich mit fünf selbst das Lesen beigebracht und jetzt schon mehr gelesen als ich in meinem ganzen Leben. Sie duldete keine Ungerechtigkeit und machte keine Kompromisse. Wenn Linus Vegetarier war, wurde sie Veganerin. Wenn ich links war, wurde sie Kommunistin. Wenn Charlotte Feministin war, wurde sie lesbisch. Sie war Klassensprecherin und eine Jüngerin von Ted Honderich, einem kanadischen Moralphilosophen, der forderte, alles Geld, das wir nicht zum Leben brauchten, an hungernde Kinder zu geben. Nicht ein bisschen spenden, nein: wir sollten so lange unser Geld abgeben, bis die Lebenserwartung in Burkina Faso so hoch war wie bei uns. Wenn die Polizei sie erwischte, wie sie rohe Eier auf BMWs warf, hatte sie bis vor zwei Wochen immer gesagt: Ich bin erst dreizehn, ich bin nicht strafmündig, Sie müssen mich sofort wieder auf freien Fuß setzen! Jetzt musste sie sich was Neues ausdenken. Ich glaubte so wenig an politische Theorien wie an Jesus oder den Weihnachtsmann. Und sie würde auch keine zweite Gudrun Ensslin werden. Aber mindestens eine zweite Sarah Wagenknecht.
    Charlotte war großartig. Ihr unerschrockener Blick. Ihre asymmetrische Designerbrille. Ihre Leidenschaft für Systemtheorie und schwarzen Espresso. Ihre heisere Stimme, die sich im Eifer leicht überschlug und in ein hemmungslos dreckiges Lachen überging. Ihre Vorliebe für plötzlichen Sex an jedem Ort der Welt. Ich sah sie vor mir im Seminar vor sechzehn Jahren: Einführung in die Soziologie , hundertdreißig Studenten. Keiner traute sich zu sprechen. Ganz hinten saß sie, hörte angespannt zu, meldete sich und deklassierte uns alle mit einem einzigen Redebeitrag. Danach mochte erst recht niemand mehr etwas sagen. Nicht mal Max, der neben mir saß und mein bester Freund wurde. Die beiden wichtigsten Menschen meines Lebens habe

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