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Surf

Surf

Titel: Surf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Duane
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auf seinem Hintern auf, und als ich mich ein wenig vorbeugte, um sie lesen zu können, sah ich, dass sie einem dieser Heck-Stoßstangen-Aufkleber ähnelte: WER DAS HIER LESEN KANN, IST ZU NAHE DRAN.
    «Wenn mich jemand fragt», sagte er plötzlich und richtete sich auf, «was ich mit meinem Leben angefangen habe, was könnte ich antworten? Am Point gesurft und Mathe unterrichtet?» Er schüttelte lachend den Kopf. «Pure Mittelmäßigkeit.» Das fand ich natürlich überhaupt nicht und wollte es ihm sagen, wusste nur nicht, wie. Ich wollte ihn fragen, ob er sich vielleicht irgendwann einmal mit mir zum Surfen verabreden und gemeinsam zu diesem Spot hier herausfahren wollte; aber dafür war es noch zu früh. Inzwischen hatte sich der Nebel weit von der Küste zurückgezogen, und schmale Windböen drückten tiefblaue Flecken auf das hellblaue Meer. Als wir uns auf den Heimweg machten, kam ich ins Grübeln über die Kultur, die Vinces Leben so gezeichnet hatte. Er war ein Mann, der etwas, was er zutiefst liebte, meisterte und ein Naturelement wahrhaftig kennen gelernt hatte. An der Uni, erklärte er, als wir mit unseren Brettern unter dem Arm aufbrachen, müsse er lügen, was die Unregelmäßigkeiten in seinem Lehrplan betraf, und sich unwahre Forschungsprojekte ausdenken, um ein Freisemester zu erhalten; die frivole Aura des Surfens habe jede größere Errungenschaft in seinem Leben vereitelt. Die Gesellschaft hatte ihm kein Gütesiegel verliehen – sie sah in ihm nur jemanden, der nicht erwachsen werden konnte. Und da passierte etwas ganz Merkwürdiges: Etwa hundert Meter entfernt stand ein Puma auf der Straße, dessen langer, geschmeidiger Schwanz ruhig hin- und herschwang. Als wir langsam weitergingen, lief das Tier in die abgestorbenen Hemlocktannen am Straßenrand, steckte den braunen Kopf noch einmal kurz aus dem Gebüsch und verschwand schließlich ganz. Als wir uns der Stelle näherten, wo er ins Gebüsch gelaufen war, sagte Vince, man solle die Streichelzoo-Idee nicht überstrapazieren und dem Tier lieber Raum lassen. In einem großen Bogen gingen wir weiter zur Straße, und als wir gerade auf gleicher Höhe mit dem Büschen waren, sagte er: «Ist er das? Da ist er doch, oder?»
    Drei Meter entfernt verharrte der Puma unter einer Weide: eine Raubkatze von der Größe eines sehr großen Hundes, ein wildes Geschöpf, aber in einer anderen Dimension als die großen Raubvögel oder ihre Beute. Wir erstarrten. Und plötzlich verschwand der Puma wie ein Geist – ohne Angst, ohne Hast. Eben lag er noch da, im nächsten Moment war er weg. Er schlich nicht wie ein Koyote; er sprang nicht wie ein Reh. Eine Erscheinung an diesem gottverlassenen Ort, die dazu gehörte wie unsere nasse Haut und unsere salzigen Wimpern, unsere triefenden Nasen und unsere Muskeln, die gelockert waren, wie nur Wasser dies vermag. Wir waren überwältigt, und Vince sagte, er habe in dreißig Jahren noch nie einen Puma gesehen. Große Raubtiere verändern unseren Sinn für Ökologie: Haie im Wasser, Löwen an Land, ein Bussard in der Luft.
    «Übrigens», sagte Vince, als wir den Weg wieder hinaufgingen, «solltest du dir ein neues Board besorgen.» Ein paar Hippie-Landarbeiter standen lächelnd auf dem Feld und hatten ihren Spaß – immerhin, ohne bezahlt zu werden.
    «Wegen des Pumas?»
    «Nein, weil du eins brauchst.» Die Form von Surfbrettern ändert sich ständig, die Gründe sind eine Mischung aus technischem Fortschritt und Mode. Vince legte Wert darauf, jeden aktuellen Trend zu meiden. Im Augenblick waren bei den jungen Profis kleine hauchdünne Boards der letzte Schrei; er riet mir, mich von solchem Humbug fernzuhalten und mir ein Brett mit etwas Gewicht zu kaufen. «Niemand, der ganz bei Trost ist, surft auf einem dieser lächerlichen Kartoffelchips; solange sie das tun, paddeln Leute wie du und ich im Bogen um sie herum, und das ist gut so.» Mit einem letzten Blick aufs Meer sagte er, dass ein Abendsurf außer Frage stünde.
    Warum? Woher wollte er das wissen? Der Wind schien mir richtig, hohe Dünung …
    «Die Farbe – es wird Seewind geben.» Die Abstufungen im Blau des Meeres zeigten es ihm an. Dazu brauchte er keine geniale Eingebung, sondern nur eine genaue Ortskenntnis und einen Blick, der jede Besonderheit wahrnahm. In den Augen der Öffentlichkeit hatte er in seinem Leben nichts gelernt, erreicht oder verdient, hatte nur seine geheime Disziplin, sein privates Vergnügen.
     
    Vinces Vorschlag führte dazu, dass ich

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