Surf
sich herantreiben, um zuzuhören.
«Und plötzlich steckte mein ganzes Bein im Maul von dem Viech», sagte Larsen und hing auf seinem Brett wie ein erschöpfter Kriegsveteran. «Es biss meinen Oberschenkel durch samt Arterie.» Er blickte übers Meer auf drei heranrollende Wellen; die Wolken nach wie vor ein graues Kontinuum. Wird die Oberschenkelarterie durchtrennt, verblutet man, erklärte Willie.
«Ja, wenn man sie aufschlitzt», antwortete Larsen, «aber man kann sie mit einem Gummiband vergleichen: Wenn man sie glatt durchtrennt wie bei mir, schnellt sie zurück und schließt sich ein wenig.»
Ein Unterschied, den ich mir nicht gerne vor Augen führte. Willie blickte zum Strand.
Larsen erzählte, wie der Hai ihn losließ, um ihn herumschwamm und ihn erneut attackierte, diesmal seinen Kopf. «Ich habe die Arme hochgerissen», sagte er und kreuzte sie vor dem Kopf, «und er hat alle Adduktorensehnen und die Arterie meines rechten Oberarms durchgebissen – die richtig dicke unter dem Bizeps. Meine Arme hingen schlaff in seinem Maul. Ich weiß noch genau, wie ich dachte, Mensch, ist da viel Platz drin, da passe ich ja ganz rein. Aber dann habe ich einen Arm herausgezogen und dem Viech eins aufs Auge gegeben.»
Er holte tief Luft. Ich war wie betäubt, konnte nicht abwarten – und dann?
«Hat er losgelassen. Und ich bin auf mein Brett gekrabbelt. Kein Scheiß. Und das Wunder ist – ich konnte sogar paddeln, ich hatte ja noch die Sehnen zum Strecken, auch wenn er die zum Beugen durchgebissen hatte. Ich habe dann tatsächlich noch eine Welle erwischt», er lachte kurz auf, «na ja, eine kleine. Bin auf dem Bauch an den Strand gesurft, und da kam eine Frau mit ihrem Kind, und ich erklärte ihnen, wie man einen Druckverband anlegt. Als der Helikopter eintraf, hatte ich ein Drittel meines Bluts verloren.»
Bedrücktes Schweigen: Was sollte man sagen? Larsen glitt eine höhere Welle von rechts hinunter, surfte ganz lässig, tat, was die Welle wollte. Ich trieb eine Weile allein im Wasser, kriegte eine zum Land – irgendwie kleine Wellen, nicht wirklich interessant.
Fast eine Woche lang wütete der Sturm an der Küste im Norden, ließ die Flüsse zu schokoladebraunen Sturzbächen voll entwurzelter Bäume, faulender Matratzen und den unsichtbaren Gefahren einer Wasserverseuchung anschwellen. Was in Ordnung war, denn ich brauchte Zeit, um den Weißen Hai, den alten Carcharodon charcharias mit der großen Flosse, da draußen zu vergessen. Selbst im Regen ging ich jeden Morgen zum Kliff neben meinem Haus, um mir alles anzusehen, und bemerkte gewöhnlich, dass Vince dasselbe tat. Wie sich herausstellte, wohnte er im selben Viertel wie ich und fuhr täglich im Morgengrauen mit dem Rad zur Steilküste. Dort positionierte er sich mit einem Fernglas, während seine Frau noch schlief, verglich die Farbe des Wassers weiter draußen in der Bucht mit der Richtung von Wind und Wellen, den Gezeitenwechsel mit seinem Stundenplan, und suchte nach einer Lösung. Ich unternahm jetzt meine Spaziergänge zur Klippe um dieselbe Zeit wie er und hielt häufig aus meinem Schlafzimmerfenster nach Vince Ausschau; sah ich ihn vorbeiradeln, streifte ich mir mein Sweatshirt mit Kapuze über, schnappte die Thermosflasche mit dem nervenberuhigenden Kräutertee und lief los, um mit ihm zu plaudern. Er hatte geradezu enzyklopädische Kenntnisse über die Surfspots im gesamten County, hatte 30 Jahre lang Erfahrungen zu mehr als 100 Brandungen unter allen erdenklichen Wetterbedingungen gesammelt. Außerdem hasste er Menschenmengen und tat alles in seiner Macht Stehende, um nicht im Gedränge surfen zu müssen. Oft wünschte er mir viel Glück für meine Suche an diesem Tag und führ dann still lächelnd wieder los, offenbar zu einem versteckten Surfspot, den er mir noch nicht verraten wollte.
Das geschah beispielsweise am zweiten Tag des Sturms, also fuhr ich allein zum Point, was Besseres fiel mir nicht ein. Die Sonne stand niedrig, der Himmel war durchsetzt von schwarzen und weißen Wolken, der Horizont im Norden pechschwarz. Als ich langsamer fuhr, um zu parken, sah ich Willie aus seinem alten El Camino springen – gerade rechtzeitig, um einen halbblinden kleinen Hund vor einem Gemüselaster zu retten. Wir kannten den Hund, er gehörte hierher, und nahmen ihn mit den durchweichten Weg hinunter zwischen den triefenden, abgestorbenen Hemlocktannen und dem Sauerklee, der in leeren Ackerfurchen sproß. Willie und ich hatten bislang noch nicht
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