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Surf

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Titel: Surf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Duane
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viel miteinander gesprochen, hatten uns im Wasser immer nur mit «Hallo» begrüßt. Seine Gesten und seine Art zu sprechen hatten etwas Kultiviertes, und Surferjargon benutzte er mit spielerischer Freude. Ein gut betuchter Freund, so erzählte er mir im Gehen, habe kürzlich einen Service namens Wave Fax abonniert, der ihm tägliche Analysen jedes nur erdenklichen weltweiten Sturmtiefs zuschickte, das uns unter Umständen eine Brandung bringen konnte; das heutige Fax wies offenbar auf eine große nordwestliche Dünung in den nächsten Tagen hin, auf einen Sturm, der über British Columbia festsaß. Ich hatte fast täglich am Point gesurft – sogar als es fast nicht möglich war –, nur aus Freude daran, dort zu sein. Abgesehen von Vince, traf ich dort niemanden häufiger als Willie. Mittelgroß, sehr dünn und gelenkig, wie er war, mit seinen hohen Wangenknochen, der kräftigen Kinnpartie und den dunklen Augen, kam mir Willie immer leicht amüsiert vor; seine Krähenfüße deuteten eher auf ein Leben nachdenklicher Belustigung als auf andauerndes Leid hin. Er hatte etwas Kluges und zugleich Leutseliges an sich, blieb aber dennoch recht distanziert, sodass man ihm keine aufdringlichen Fragen stellte. Zwar wirkte er mit seiner schicken Windjacke von Patagonia, der Ray-Ban-Sonnenbrille, den Jeans und den gelben Gummistiefeln eher wie ein typischer Yuppie-Surfer, wohnte aber offenbar ziemlich in der Nähe, in einer gemieteten Einzimmerwohnung auf einer Farm oben in den Hügeln. Auf dem Weg, auf dem wir gingen, sprossen Grashalme und Senfpflanzen; ein paar Schwalben kamen zwitschernd im Sturzflug aus dem Himmel gesaust – wichtig ist letztlich, die Umgebung wahrzunehmen. Nicht etwa, dass es sich um eine makellos unberührte Natur handelte – nicht einmal der wilde Senf kann für sich in Anspruch nehmen, wirklich hier heimisch zu sein –, trotzdem klammerte ich mich an die Beharrlichkeit der Transzendentalisten, derzufolge das goldene Zeitalter jetzt anbrechen und die Welt für ihre Zuschauer da sein müsse . Andernfalls, na… Sie wissen schon. So mussten Reihen des Chaos, wie der kleine grüne Streifen oben am Feldweg, die Streifen unkultivierter Erde zwischen den Feldern und entlang der Eisenbahngleise, genug Wandel verkünden, um übergebührliche Aufmerksamkeit zu verdienen.
    Von der Klippe aus sahen wir zwanzig Delphine, die in zwei Schwärmen zwischen den Brechern schwammen – unzählige scharfe kleine schwarze Flossen, die in hohem Bogen aus dem Wasser sprangen und wieder eintauchten. In dem Blau gen Westen schoss eine Gischtfontäne in die Höhe, winzig aus dieser Entfernung. Während wir uns umzogen, brach über der gläsernen, sturmgepeitschten See klares Licht durch die Wolken. Obwohl der Wind nicht blies, war seine Wirkung allgegenwärtig; die Wellen des arktischen Tiefdruckgebiets hatten sich noch nicht aufgebaut; die See spiegelte noch das Chaos des Unwetters wider ohne die ordnende Zugkraft von Oberflächenspannung, Schwerkraft und Zeit. Die Wellen wirkten organisch verzerrt, wie entfesselt von den Anforderungen des Riffs und der Dünung. Kalte, über drei Meter hohe Wellengipfel rollten an die Küste und brachen sich in unvorhersehbarer Weise. Sie ermöglichten lange, gewagte Drops mit weit hinten aufgesetztem Fuß. Damit die Brettspitze oben blieb, riss ich hoch oben rum, glitt schräg vor der brechenden Welle über eine schaumbedeckte Wasseroberfläche, beugte die Knie über kleinen Unebenheiten. Es war schon merkwürdig, die pastorale Ruhe zu verlassen, um sich einer dröhnenden, unirdischen Wildnis auszusetzen und um dann, in der Stille zwischen den Wellensets, wieder hinauszupaddeln; das Brett auf und ab, über und durch die glitzernden Gewässer, die Augen knapp über dem Wasser, im Hin und Her der sanft abrollenden Wellen und einzelnen kleinen Wellenkämme. Der Horizont tauchte auf, verschwand, neigte sich, sank; der granitfarbene Pazifik und ein dräuender Himmel, grau und reglos. Weit draußen trieben vier schwarze Gestalten mit schwarzen Kapuzen, gebeugte Bettelmönche, die in dem stetigen Regen noch vor der hellgrauen Weite kauerten.
    Ein kleiner Blondschopf namens Steve, auch er sozusagen Stammgast, erzählte laut zwischen den einzelnen Sets, dass er arbeitslos und ganz verzweifelt sei und vielleicht zurück nach New York zog. Er hatte einen guten Job beim Ölbohren für einen besseren in einer Parfümfabrik gekündigt. Wie sich herausstellte, vertrug er den Duft nicht und war eine Woche

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