Surf
lang krank, und dann war es zu spät, um zum Ölbohren zurückzukehren. Jetzt stellten die Firmen überhaupt niemanden mehr ein; seit einem Monat suchte er schon auf Baustellen nach Arbeit. Seine Frau hatte die Geduld verloren und war es leid, ihn zu unterstützen. Hauptsächlich sprach er mit Willie, obwohl die beiden einander nie offiziell vorgestellt worden waren. Die Bucht war für Steve gewissermaßen so etwas wie eine Eckkneipe und Willie unser aller Barkeeper. Steve wirkte ziemlich verstört. Er hatte irgendwie eigentlich auch mit dem Surfen aufgehört und erzählte, dass er nicht mehr wisse, was er noch tun sollte. Das Amt für Veteranen würde seinen Lohn bezuschussen, aber den Arbeitgebern war das egal. Willies Mitgefühl wirkte echt, als habe er genug Zeit verloren, um die Siege der letzten Zeit nicht persönlich zu nehmen.
Wieder hingen Gewitterwolken über uns, ein Regenschauer kam herunter: dicke, sichtbare Tropfen, die einzeln ins Wasser platschten und die ölige Oberfläche kräuselten und wieder abklangen; dann goss es in Strömen, und das Wasser wurde zu einem vibrierenden Gesumme und Gebrumme, die ganze Oberfläche zitterte, bebte lebendig, jetzt eine organische Verbindung von fallendem und bereits gefallenem Wasser. Das Meer spiegelte nicht mehr, vielmehr schien der Regen es niederzuhalten, es in eine Form pressen zu wollen. Ich bibberte in meinem Surfanzug – dieser durchlässigen zweiten Haut zwischen mir und dem Salzwasser –, hockte mich hin und wartete; blickte über diese Wüste aus wogenden, verschwommenen grünen Wasserdünen und sah plötzlich einen ungeheuren Wachtposten, einen massigen, stumpfen schwarzen Kopf mitten in einem Wellenberg. Das große, dunkle Gesicht eines Seelöwen jagte mir einen solchen Schrecken ein, dass ich fast vom Brett gefallen wäre; es war ein weit über zwei Meter langer, 600 Pfund schweres Exemplar mit Mähne, der allein in dem Küstengewässer schwamm, zwischen Paarung und Haarwechsel, weit nördlich von der Kolonie, in der sich die Weibchen und Jungtiere aufhielten, und der nach Futter suchte: Tintenfisch, Heilbutt. Die Bewohner der Aleuten, hatte ich einmal gelesen, hätten viel Verwendung für diese Tiere, die Häute wurden zu Bootsplanen und wasserdichter Kleidung verarbeitet, das Fleisch diente als Nahrungsmittel, das Fett als Brennstoff. Seelöwen sollen verspielt sein, zum Vergnügen die eigenen Luftblasen jagen, und sie sind die klassischen Zirkustiere; balancieren Weingläser auf der Nase, gehen Stufen hinauf, beklatschten ihre eigenen Darbietungen. Dieser aber war derart jäh vor mir aufgetaucht und so über alle Maßen groß, dass er den unsichtbaren Raum in der Tiefe vor Augen führte, diese Welt riesiger Kreaturen, die ganz nah und doch unsichtbar waren. Dann richtete er seine schwarzen, pupillenlosen Augen lange auf meine Sicherheitsleuchte und tauchte.
Ein jäher, heftiger Wind blies die Nebelfäden wirbelnd von den Wellenrücken wie Schneewehen in einem Blizzard. Ich fror, der Kopf tat mir weh, und meine Schulter schmerzte vor Überanstrengung, als ich eine Welle anpaddelte, spritzte mir die Gischt wie aus einem Feuerwehrschlauch ins Gesicht, und der Wellenritt war wie eine Querfeldeinfahrt über Stock und Stein. Dann ließ der Regen nach, und die Klippen wurden wieder sichtbar. Der Farmer hatte den Rosenkohl untergepflügt, und der – nach diesen windigen Tagen blassere – Boden war nun wieder durchweicht und schwarz. Während der Verschnaufpause erzählte ein zurückhaltender, rothaariger Surfer von seiner Rucksacktour an Kaliforniens Lost Coast, oben an der Grenze nach Oregon. Sie seien auf vier Meter hohen Wellen geritten, rundherum umgeben von Seehunden und gelegentlich sogar von einem Mörderwal. Der Surfer kam aus Malibu und war erst kürzlich in diese Gegend gezogen, um mal richtig zünftig zu surfen, wollte sich im Laufe der Jahre einfach weiter nach Norden treiben lassen, wollte Raum für seine Ellbogen finden. Er studierte, und die Miete sparte er, weil er in einem Zelt in einem Waldstück hinter dem Unigelände hauste; zusammen mit seiner burschikosen Freundin, einer hübschen, schlaksigen Surferin und Skateboarderin, mit der er die letzten zwei Jahre zusammen ohne Unterbrechung im Wald gelebt hatte. Auch die Regenzeit über, und zwar ohne Probleme.
Und da war er wieder, dieser absurd große Seelöwe. Ein Schiffskapitän des 19. Jahrhunderts schilderte, auf welche Weise man in der Zeit des Goldrauschs an dieser Küste
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