Surf
sie Willies Rücken, dann sprang sie aus dem Wasser und platschte laut wieder hinein. Willie fuhr blitzartig auf seinem Brett herum, fuchtelte mit den Armen, trat um sich mit den Füßen und schrie furchtbar hysterisch und mit bleichem Gesicht: «Was war das?! Was zum Teufel war das!?»
Ich konnte es ihm nicht verdenken: Da glaubst du, du könntest einfach nur über den klasse Hühnchen-Burrito nachdenken, den du zu Mittag essen willst, streifst mit dem Bein einen dicken Seegrasstrang und wirst plötzlich wahnsinnig vor Angst, als dir klar wird, dass der Tod durch Verschlingen direkt unter der Oberfläche deines Verstands lauert. Hai-igkeit : Bewusstseinszustand, der sich im Zustand lokaler Befindlichkeit äußert – «Wird'n bisschen hai-ig hier draußen, findste nich?» –; eine Kombination aus Surfspothistorie, Wassertiefe und offenem Meer, dem man ausgesetzt ist, vielleicht noch Surferandrang, Dichte des Nebels und die schlichte Entfernung zum Highway. Ich paddelte zu einer Stelle voller Seegras, um mich vor der Tiefe zu verstecken, dachte an den Typ, der hin und her gezerrt worden war, und setzte mich gerade auf, damit mir keiner den Kopf abriss. Erst kürzlich hatte mein Nachbar an dieser Stelle auf seinem Brett gesessen und gedacht, was für ein Scheiß es wäre, wenn jetzt ein Hai auftauchte. Es waren so wenig Wellen da gewesen, dass er zurückpaddeln musste. Genau in diesem Augenblick bemerkte er, wie in drei Meter Entfernung eine über einen Meter hohe Rückenflosse samt breitem, strudelndem Kielwasser langsam an ihm vorbeizog. Seine Augen hätten das Gesehene zuerst gar nicht verarbeiten können, erzählte er mir, und weiter versucht, eine Robbe oder einen Seelöwen zu erkennen; aber dann hatte sich ein anderer Surfer über die Flosse gebeugt und hektisch genickt mit einem Gesichtsausdruck, der besagte: Jawohl, das da ist genau das, was du denkst! Als sie zum Strand paddelten, drehte sich mein Nachbar einmal um und sah, dass die Flosse langsam folgte; sofort beschloss er, sich nicht noch mal umzuschauen. Sie schrien, alle Surfer sollten sofort an Land gehen, aber ein ganz Hartgesottener blieb skeptisch im Wasser. Ich hatte tatsächlich einmal die Flosse eines Seelöwen für eine Haiflosse gehalten und dabei eine merkwürdige Dynamik entdeckt: Die Jungs machen sich über deine törichte Angst lustig und würden gerne den auslachen, der vor einer Gefahr warnt, tun es dann aber meist doch nicht. Die Gefahr ist einfach zu allgegenwärtig, um jemanden damit aufzuziehen. Fast jeder, egal wie schroff und grimmig, wird wahnsinnig vor Angst beim Gedanken daran, er könne bei vollem Bewusstsein zerfetzt werden und müsse mit ansehen, wie sich sein eigenes Blut im Wasser ausbreitet. Skinny war davon überzeugt, einmal einen Weißen Hai in einer Welle gesehen zu haben: Er war zurück an Land gepaddelt und gegangen, ohne einem der anderen zehn Surfer im Wasser etwas davon zu sagen, um nicht verhöhnt zu werden. Aber immerhin kommen Weiße Haie nirgends häufiger vor als an dieser Küste. Der Teil des Pazifiks vor Monterey, genau südlich von der Stelle, wo ich gerade trieb, bis zu den Farallon Islands vor San Francisco und nach Norden zur Bodega Bay nördlich des Golden Gate wird herrlich schräg «das Rote Dreieck» genannt. Und tatsächlich war ich eines Morgens genau zu der Zeit allein draußen am Point, als mehrere Surfer knapp eine Meile weiter nördlich einen Weißen Hai sichteten.
Beschäftigt man sich erst einmal näher mit dem Thema, birgt es viel Beunruhigendes, und deshalb schlich ich jetzt voll etwas morbider Neugier in der Universitätsbibliothek herum; ein luftiges neues Gebäude aus heimischen Baumaterialien, eine selbstbewusste Hymne an die Redwoods der Umgebung, erfüllt von der rationalen und keimfreien Ruhe allzu vieler Verstandesmenschen, die leise über die dicken Teppichböden der Flure huschen. Hier sind einige Kostproben meiner Lektüre: Haie sind die einzigen auf der Welt bekannten Tiere, die sich im Mutterleib gegenseitig fressen; wenn die noch ungeborenen Haie im Uterus aus dem Ei schlüpfen, fressen sie einander gegenseitig auf, bis das räuberischste Tier übrig bleibt. (Wenn schon der Mutterleib ein Schlachtfeld ist, was ist dann erst das Meer?) Anders als andere Fische, verfügen Haie nicht über Schwimmblasen, die ihnen Auftrieb verleihen, und sinken, sobald sie zu schwimmen aufhören. Das erklärt auch, warum sie gern am Meeresboden lauern, ähnlich einer sieben Meter langen, über
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