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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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darauf, ja nicht gegen irgendwelche Verkehrsregeln zu verstoßen, und blieb stets zwei Kilometer unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Milgrim hatte schon erlebt, wie Leute - Leute, von denen man das nicht erwartet hätte — so zu einem Drogendeal gefahren waren. Hier wurde ein Geschäft abgewickelt; das Gefühl hatte er schon den ganzen Abend gehabt. Allerdings war ihm bei einer solchen Gelegenheit noch nie Mineralwasser oder Obst angeboten worden.
    Der Junge trug eines dieser Headsets, die so aussahen, als hätte ihm jemand einen Flipperhebel ins Ohr gesteckt. Er sprach hin und wieder leise hinein, sagte allerdings selten mehr als »ja« oder »nein« oder wiederholte einen Straßennamen, den Milgrim sofort wieder vergaß. Milgrim bekam jedoch mit, dass der Typ jetzt wusste, wohin sie fahren sollten.
    Und plötzlich schienen sie da zu sein.
    »Wo sind wir?«, fragte Milgrim.
    »Wormwood Scrubs. «
    »Das Gefängnis!«
    »Little Wormwood Scrubs«, sagte der Fahrer. »Überqueren Sie die Straße, und dann immer geradeaus über das Gras. Er lässt ausrichten, dass sie sich unter einer Tarnplane befindet und vielleicht schwer zu sehen ist.«
    »Fiona?«
    »Das hat er nicht gesagt«, erwiderte der Junge affektiert, als wollte er nicht noch weiter in die Sache hineingezogen werden. Er stieg aus und lief zum Heck.
    Milgrim zog den Pinguin ein Stück nach unten, weg vom Schiebedach, während er seitwärts zur Hecktür rutschte. Wie der Ballon in der Luft schwebte, hatte etwas Fröhliches an sich, dachte Milgrim. Es musste ein wundervoller Tag gewesen sein, als erstmals Gase entdeckt wurden, die leichter als Luft waren. Er fragte sich, in was die Menschen damals diese wohl hineingetan hatten. Imprägnierte Seide wahrscheinlich. Aus irgendeinem Grund tauchte vor seinem geistigen Auge der Innenhof des Salon du Vintage auf.
    Während Milgrim aus dem Wagen kletterte, hielt der Junge den Ballon fest, sein Hemd gespenstisch weiß im Schein einer Straßenlaterne. Milgrim bemerkte eine große Freifläche auf der anderen Straßenseite — in London etwas völlig Ungewöhnliches. Sie war leer und dunkel.
    »Ein Park?«, fragte er.
    »Nicht unbedingt«, sagte der Junge. »Gehen Sie mittendurch.« Er deutete mit dem Finger. »Und immer geradeaus. Dann finden Sie sie.« Er reichte ihm die Nylonschnur.
    »Vielen Dank«, sagte Milgrim. »Auch für die Banane.«
    »Kein Problem.«
    Milgrim überquerte die Straße, während der Lieferwagen hinter ihm davonfuhr. Er lief immer weiter. Über Gras, einen gepflasterten Weg entlang, wieder über Gras. Was für eine seltsame Leere, voller Stoppelgras! Im Unterschied zu den Parks der Stadt war hier nichts bewusst gestaltet worden. Ein Stück ungenutztes Land. Das Gras war feucht, aber wenn es geregnet hatte, hatte er das nicht bemerkt. Tau vielleicht. Er spürte es durch die Socken, obwohl die Halbschuhe von Tanky&Tojo für diesen Untergrund besser geeignet waren als für Asphalt. Festes Schuhwerk. Er stellte sich vor, mit Fiona zu Fuß irgendwohin zu gehen — irgendwohin, wo es so weitläufig war wie hier, nur weniger unheimlich. Er fragte sich, ob ihr das gefallen würde. Gingen Leute, die Motorrad fuhren, gerne zu Fuß? War er jemals gerne zu Fuß gegangen? Er blieb stehen und blickte zu dem leuchtenden, leicht violetten Himmel über London hinauf. Das ganze Licht von Europas größter Stadt war dort gefangen, und Sterne waren nur wenige zu sehen. Er drehte sich um und schaute über die gut beleuchtete Straße zu dem Gewirr von Wohnhäusern hinüber, die einer Kultur entsprungen schienen, die er nicht verstand. Dann wandte er sich wieder den Scrubs zu. Eigentlich müsste man sich hier Stoff beschaffen können. Er konnte sich nicht vorstellen, dass in einer Stadt von dieser Größe an einem solchen Ort nicht gedealt wurde.
    Dann hörte er einen leisen Pfiff. »Hier«, rief Fiona kaum hörbar. »Komm hier drunter!«
    Sie kauerte unter einer dünnen Plane, auf die eines der abgefahrenen neuen Tarnmuster gedruckt war, für die sich Bigend interessierte. Milgrim wusste nicht mehr, wie es genannt wurde, aber jetzt konnte et sehen, wie gut es seinen Zweck erfüllte.
    »Nicht mit dem Pinguin! Wo ist deine Steuerung? Beeil dich!« Sie saß im Schneidersitz und sprach leise, ihr grün leuchtendes iPhone im Schoß. Den Ballon zog sie zu sich herab, löste die Schnur und ließ ihn los. Er stieg nur langsam auf - der Taser hatte einiges Gewicht. Milgrim holte das iPhone des Pinguins aus der Tasche,

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