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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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in einem fast liebevollen Tonfall, als er ihr die Tür öffnete. Nach der seltsamen Vermehrung der Zierruinen auf den Aquarellen im Flur vor ihrem Zimmer und der Sache mit dem Frettchen wollte sie sich jedoch nicht schon wieder auf irgendwelche Unwägbarkeiten einlassen, also dankte sie ihm nur lächelnd und eilte weiter, unter der porte cochère hindurch, die vermutlich für echte Kutschen gebaut worden war, zum Heck des Slow-Food-Lieferwagens hinüber, der davor parkte. Es war ein recht großer Lieferwagen, frisch auberginefarben lackiert, mit einem Schriftzug und Zierleisten in Mattbronze, als sei die Königin höchstselbst Veganerin - wenn sich Slow Food denn überhaupt auf veganisches Essen spezialisiert hatte - und hege eine Vorliebe für Aubrey Beardsley.
    »Hallo«, sagte die Fahrerin, eine hübsche, brünette Norwegerin mit einer Mütze, die der von Laubfrosch ähnelte. Sie war professionelle Lastwagenfahrerin und Schauspielerin. Das wusste Hollis, weil sie mitgehört hatte, wie Garreth sie - über Dritte - angeheuert hatte, nur dass sie bis eben keine Ahnung gehabt hatte, worum es dabei überhaupt ging. »Da drinnen befinden sich zwei Stoffbahnen mit Reißverschlüssen«, sagte die Fahrerin und deutete auf das Heck des Lieferwagens. »Ich werde Ihnen die erste öffnen und sie dann wieder schließen, und dann öffnen und schließen Sie die zweite. Damit kein Licht eindringt. Verstanden?« Die junge Frau lächelte, und Hollis lächelte unwillkürlich zurück. Die Aufgabe der Frau bestand nicht nur darin, den Lieferwagen zu fahren, sondern sie sollte auch die Polizei beschäftigen, sollte es Schwierigkeiten geben, wenn sie später irgendwo parkten. Jetzt öffnete sie die Hecktüren, und zum Vorschein kam eine straffe Wand aus schwarzem Drillich, die an einen Zaubertrick erinnerte. Die Fahrerin stieg drei ausziehbare Aluminiumstufen hinauf, die ausgesprochen stabil wirkten, und zog einen langen, vertikalen Reißverschluss auf. »Geben Sie mir den Koffer!« Hollis reichte ihn ihr. Die Fahrerin schob ihn durch den Schlitz und stieg wieder hinunter. Hollis ging die Stufen hinauf und schlüpfte durch den Spalt, wobei ihr die kleinen Plastikzähne des Reißverschlusses seltsam über das Handgelenk strichen. Dann drehte sie sich und zog den Reißverschluss fast ganz hinunter. Die junge Frau zog ihn das letzte Stück zu, und Hollis fand sich in völliger Dunkelheit wieder.
    Hinter ihr wurde der andere Reißverschluss aufgezogen, und sie wurde in überraschend helles Licht getaucht. Als sie sich umdrehte, sah sie sich Garreth gegenüber, hinter dem Pep kauerte, der, wie sie sofort wusste, das hässliche T-Shirt trug.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass es wirklich so hässlich sein würde«, sagte sie und schlüpfte durch den zweiten Reißverschluss.
    Aber das war es. Pep, der schwarze Radlerhosen anhatte, trug das größte, hässlichste T-Shirt, das sie je gesehen hatte — dünne, billig wirkende Baumwolle in der Farbe von Stomavorrichtungen, derselbe unechte Fleisch ton. Riesenhafte Gesichtszüge waren in mattschwarzem Halbtonraster daraufgedruckt - asymmetrische Augen auf Brusthöhe, ein grimmiger Mund im Schritt. Später würde sie nicht mehr in der Lage sein zu erklären, warum sie es so hässlich fand, außer dass es irgendwie jenseits von Punk war, jenseits von Kunst — in jeder Beziehung ein Affront. An den Seiten und auf den kurzen weiten Ärmeln befanden sich einige diagonale Linien. Pep warf ihr einen anzüglichen Blick zu, oder vielleicht schaute er sie auch einfach nur beiläufig an. Er zog sich den Riemen einer dunkelgrünen Kuriertasche über den Kopf und ließ etwas darin verschwinden - das andere, hübsche Mitbringsel von Garreth, wie Hollis bemerkte.
    »Vergiss nicht, die Tasche abzulegen«, sagte Garreth. Er saß auf einem schwarzen Schreibtischstuhl, der offenbar mit Klebeband an dem glänzenden, auberginefarbenen Boden befestigt war. »Sonst geht die ganze Wirkung verloren.«
    Pep grinste anzüglich, oder vielleicht lächelte er auch nur. Dann schlüpfte er an ihr vorbei und durch den offenen Reißverschluss in der zweiten schwarzen Stoffbahn. Die Rückseite des T-Shirts war mit denselben fratzenhaften Gesichtszügen bedruckt. Er bückte sich, nahm ihren Koffer, reichte ihn ihnen herüber, zog den Reißverschluss zu — und war verschwunden. Sie hörte, wie der andere Reißverschluss geöffnet und geschlossen wurde, und dann wurde die Tür zugemacht.
    Sie wandte sich zu Garreth um, sah jedoch, dass

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