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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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gar nichts dagegen unternehmen können. Wie ich ihn gesehen habe, hat er auch schon geschossen. Ich bin mir relativ sicher, dass ich aufgeschrien habe. Aber nicht, weil die Kugel in meinen Körper eindrang, sondern aus lauter Überraschung, dass der Mensch da wirklich schießt. Irgendwie schon eine Ironie der Geschichte. Da steht man jahrelang an der Front und sieht dem Tod ins Auge, und dann trifft man ihn im Bundeskanzleramt, geführt von einem verblendeten Narren.
    Ich muss ohnmächtig gewesen sein, denn als ich die Augen wieder aufmachte, da lag ich auf einem Diwan. Und darauf liege ich immer noch. Ich habe Kopfschmerzen, und mich dürstet. Doch ich denke nicht, dass diese Kerle mir Wasser geben würden. Sie beschimpfen mich in einem fort. Dabei habe ich doch nur nach einem Priester verlangt. Es ist mir einerlei, ob sie einen Arzt holen oder nicht, wenn es Gottes Wille ist, dass ich in sein Reich eingehe, dann soll sein Wille geschehen. Aber ich will nicht ohne die Tröstungen der heiligen Mutter Kirche diesen Ort verlassen, das müssen die doch verstehen. Was schimpft denn der immer noch?
    Dieser grobe, ungeschlachte Kerl, er redet und redet, doch ich verstehe kaum, was er sagt. Ich hätte die Nationalsozialisten aus der Heimat vertrieben? Wovon spricht der? Ich habe doch immer nur versucht, das Beste zu tun, habe doch nur den Frieden gewollt, also warum lassen die mich nicht in Ruhe?
    Merkwürdig, mir ist ganz furchtbar kalt, obwohl draußen die Sonne so richtig vom Himmel brennt. Eine Decke, das wäre jetzt eine Erleichterung. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie mir eine solche Erleichterung gewähren, denn sie redenimmer noch auf mich ein. Ich, so sagen sie, hätte es in der Hand gehabt, Frieden mit Deutschland zu machen. Wie blauäugig, als ob das möglich gewesen wäre. Doch was will man von diesem Pöbel, die sind ja alle noch viel zu jung, um etwas von Politik zu verstehen. Die verstehen überhaupt nichts, denn sonst würden sie endlich damit aufhören, mich anzubrüllen.
    Dieser Durst. Diese Kälte. Ich glaube, ich verliere wieder das Bewusstsein. Aber das wäre ohnehin eine Erlösung, wenigstens müsste ich dann dieses Gekeife nicht mehr ertragen. Schlafen, einfach schlafen. Ruhen, Frieden finden. Amen.
    Warum rüttelt man mich? Mein ganzer Körper schmerzt. Wer ist das? Ah, der Fey. Was sagt er? Es geht zu Ende? Was geht zu Ende? Was? Ich? Mit mir geht’s zu Ende? Mit mir geht’s vielleicht zu Ende? Was wird aus meiner Frau, aus meinen Kindern? Der Benito! Er soll dem Mussolini sagen, er soll sich um meine Familie kümmern! Was heißt da Nachfolge? Die denken wirklich, dass ich …
    Ich … nein, das kann nicht sein. Bin ich wirklich so schwer verwundet? Das müsste ich doch … spüren. Aber … alles voller Blut. … Mein Blut … wirklich … muss durchhalten …!
    Einen Priester. Ich brauche einen Priester. Wie lange liege ich schon hier? Und was will denn der Fey noch, sieht er nicht, dass ich … fertig bin? Mir ist so kalt, und ich bin so müde, so unendlich müde. Ich will nur noch beichten und dann schlafen. Von mir aus auch für immer, denn ich werde im Paradies erwachen. … Oh mein Gott, du kannst mir doch … einen Deiner Diener … nicht … vorenthalten! Vor Gott … bekenne ich … meine Sünden … Herr, erbarme Dich … meiner. … Keine Angst … sie retten mich … ich höre schon, wie das Bundesheer … nur noch ein wenig durchhalten … durchhalten … nicht nachgeben … nicht.

GLOSSAR
    Wienerisch:
    aa: auch
    abkrageln: töten
    abmarkieren: abtreten
    Achter: Handschellen
    anbraten: eine Liaison anbahnen
    ausg’schamt: unverschämt
    Bassenatratschn: allzu gesprächige Person
    Bazi: Freund, Kamerad
    Büdln: Bilder
    büseln: schlafen
    dazöhn: erzählen
    Deckel: Kontrollkarte für Prostituierte
    Diener: Verbeugung
    eh: ohnehin
    Einedrahrer: Angeber
    Elisabethpromenade (heute Rossauer Lände): Standort des Polizeigefangenenhauses
    es: ihr
    Gabelfrühstück: vormittägliche Zwischenmahlzeit
    gemma: gehen wir
    g’mant: gemeint
    g’mocht: ermordet
    Göd: 1) Firmpate, 2) Geld
    großer Brauner: schwarzer Kaffee, mit Obers (Sahne) serviert
    grüner Heinrich: Polizeiwagen
    Gspusi: Liebschaft
    Gugelhupf: Napfkuchen
    Haderlump: Tunichtgut
    hamdrahn: töten
    hamma: haben wir
    Heh, Höh: Polizei
    Hieb: Bezirk
    ins Pendel haun: aufhängen
    Kieberer, Kiwara: Polizist
    kleiner Brauner: halbe Menge des großen Braunen
    Kombinäsch: Unterkleid
    kömma: können wir
    Kracherl:

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