Tacheles
war sicher sie“, zischte die alte Demand plötzlich mit unerwarteter Klarheit. „Diese geldgierige Schlange.“
„Sie meinen die gegenwärtige Frau Demand?“, vermutete Bronstein und erntete einen giftigen Blick von der geschiedenen Demand und einen leicht tadelnden von Cerny.
„Die hat sich hier eingeschlichen, um meine Söhne um ihr Erbe zu bringen und mich um mein Lebensglück. Und weil mein geliebter Gatte noch so rüstig war, und weil sie nicht länger warten wollte, hat sie eben ein wenig nachgeholfen.“
„Gnädige Frau, Ihr Mann wurde erschlagen“, hielt Cerny dem entgegen, „ich glaube nicht, dass eine Frau so viel Kraft aufbringen kann, jemanden wie Ihren Mann auf diese Weise …“
„Natürlich hat sie es nicht selbst getan!“, brauste die Demand auf, „sie hat jemanden für diese Schandtat gedungen. Ihren Liebhaber wahrscheinlich.“
„Sie meinen, die Dame hatte eine Affäre?“, wurde Bronstein hellhörig.
„Sie glauben doch nicht, dass so eine junge Nymphe sich darauf beschränkt, die treu sorgende Gattin zu sein. Die hat sicher nichts anderes gemacht, als den ganzen Tag lang Männerbesuch zu empfangen, diese vulgäre Person. Da kann sie noch so auf ihre adelige Herkunft verweisen – ohnehin nur Beamtenadel, wenn Sie verstehen, was ich meine –, sie selbst ist durch und durch verdorben. Ohne Moral, ohne Anstand, ohne die geringste Sittlichkeit. Eines von diesen obszönen Frauenzimmern, die sich ihrer verderbten Wollust ohne die geringste Hemmung hingeben.“ Die alte Demand hatte sich in ihremSessel hoch aufgerichtet, ihre Hände verkrampften sich in die Armlehnen, und ihr stechender Blick ließ Bronstein unwillkürlich frösteln. „Wenn ich nicht so gut erzogen wäre, würde ich die Dinge noch viel offener beim Namen nennen, meine Herren. So aber mögen Sie die Güte haben, es mir nachzusehen, wenn ich mich nicht weiter über diese … Dirne … äußere. Leider war mein Mann blind und verblendet. Und jetzt ist er tot. Nur wegen ihr.“ Jetzt erst sank die Frau wieder in den Sessel zurück. Eine bühnenreife Vorstellung, dachte Cerny.
„Die junge Frau De…, sie hatte einen Liebhaber?“, fragte Bronstein nochmals nach, „wissen Sie zufällig Genaueres?“
„Natürlich nicht, sonst hätte ich meinen Mann sofort mit diesem Wissen konfrontiert. Doch leider war sie zu geschickt, um sich erwischen zu lassen, dieses schamlose Luder.“
„Das heißt, Sie haben nur einen vagen Verdacht, aber keine konkrete Kenntnis“, fasste Bronstein diese Aussage zusammen, wofür er neuerlich einen flammenden Blick der Demand erntete. „Sie, mein Mann wurde gerade ermordet, ich darf wohl um ein klein wenig mehr Takt bitten!“
Während Bronstein unwillkürlich zusammenzuckte, ergriff wieder Cerny die Initiative. „Abgesehen von Ihren Vorbehalten das ehemalige Fräulein Krieger betreffend, könnte Ihr Mann sonst noch Feinde gehabt haben? Menschen, die ihm übelwollten?“
„Mein Mann war zeitlebens ein überaus erfolgreicher Geschäftsmann. Da macht man sich automatisch nicht nur Freunde. Besonders in so schwierigen Zeiten wie den unseren. Man ist ja förmlich umzingelt von lauter Bosheit. Diese waffenstarrenden Arbeiter zum Beispiel. Sie glauben doch nicht, dass die Gefahr, die von diesen Revoluzzern ausgeht, gebannt ist, nur weil man ihre Partei, die freilich gar nicht erst hätte genehmigt werden dürfen, endlich verboten hat. Im Gegenteil. Umso gefährlicher sind jetzt die Parteigänger, weil sie im Untergrund agieren und man sie nicht mehr so leicht überwachenkann wie ehedem. Das muss ich ja wohl gerade Ihnen nicht sagen. Und die Krakeeler von dem Herrn aus Braunau waren sicher auch keine Sympathisanten meines Mannes. Wie heißt es so schön? Viel Ehr, viel Feind.“
„Aber einen konkreten Verdacht haben Sie nicht?“, hakte Cerny nach. Die Frau schüttelte nur wortlos den Kopf.
„Wissen Sie, ob Ihr Mann ein Testament aufgesetzt hat?“, fragte nun wieder Bronstein.
„Seinerzeit gab es sicher eines. Aber das hat er ohne Frage geändert, seit er dieser Circe verfallen ist. Wahrscheinlich erbt jetzt alles sie, und meine armen Buben gehen völlig leer aus.“ Sie seufzte theatralisch.
Bronstein sah kurz Cerny an und überlegte, ob er die geschiedene Witwe mit der Aussage der anderen Witwe konfrontieren sollte, was das Vorhandensein eines Testaments anbelangte, beschloss aber dann, dieses Thema vorerst auf sich beruhen zu lassen. Weiters fragte er sich, ob es ziemlich wäre, sich
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