Tacheles
an dieser Stelle noch formal nach einem Alibi zu erkundigen, doch das erschien ihm unpassend. „Das wäre, gnädige Frau, vorläufig alles“, erklärte er somit aufgeräumt, „seien Sie noch einmal unseres Mitgefühls versichert, wir werden einen Ihrer Söhne darum ersuchen, dass er Ihnen in dieser schweren Stunde Beistand leistet. Gnädige Frau, einen guten Tag.“
Bronstein zupfte Cerny kaum merklich am Ärmel, und die beiden verließen unter einer angedeuteten Verbeugung die Wohnung. „Jetzt noch die beiden Söhne?“ fragte Cerny, nachdem er die Tür geschlossen hatte.
„Jetzt noch die beiden Söhne“, bestätigte Bronstein.
Die beiden begaben sich in das oberste Stockwerk und klopften an die erste Tür. Nach einer kleinen Weile wurde ihnen von einem Knaben aufgetan, der kaum älter als vier, fünf Jahre sein mochte. Er starrte die beiden Männer einen Augenblick mit offenem Munde an, dann schrie er aus Leibeskräften: „Mami!“
Es war aber nicht „Mami“, die prompt herbeigeeilt kam, sondern ein sportlich aussehender Mann um die dreißig, der, wie die Kriminalisten bemerkten, schwarze Halbschuhe, weiße Stutzen, Breecheshosen, einen weißen V-Pullover über einem ebenso weißen Hemd und ein graugrünes Tweedsakko trug. Die flachsblonden Haare trug er hinten betont kurz, vorn hing ihm eine Strähne leicht ins Gesicht, bedingt durch den überaus exakt gezogenen Mittelscheitel. Bronstein zuckte unwillkürlich zusammen. Er meinte, einen Nazistudenten vor sich zu haben und nicht den Sprössling eines jüdischen Fabrikanten. „Darf ich fragen, was die Herren wünschen?“
Bronstein und Cerny stellten sich vor und fragten dann ihrerseits, um wen es sich bei ihrem Gegenüber handelte.
„Hermann Demand“, entgegnete dieser knapp.
„Könnten Sie vielleicht ein wenig ausführlicher sein?“
„Könnte ich. Doch dazu sehe ich keine Veranlassung, solange Sie mir nicht sagen, weshalb Sie derlei von mir zu wissen wünschen.“
Cerny übernahm es, dem Juniorchef zu erklären, was sich letzte Nacht zugetragen hatte und weshalb sie also hier nun tätig seien. Der junge Herr ließ sich keine Regung anmerken.
„Sie verstehen nun hoffentlich, weshalb wir hier sind. Ihre Daten brauchen wir für das Protokoll“, schloss Cerny.
„Wie gesagt, Hermann Demand. Geboren am 19. April 1904 in Wien. Verheiratet seit 1929 mit Frau Edeltraud, geborene Kohn. Ein Sohn Friedrich Wolfgang, geboren 1930. Sonst noch etwas?“
„Vielleicht können Sie uns noch ein paar Informationen zu Ihrem Lebenslauf geben, damit wir ein möglichst vollständiges Bild bekommen?“
„Ich sehe schon, das wird länger. Kommen Sie also herein.“ Der Gesichtsausdruck Hermann Demands verriet Ärger und wohl auch eine Portion Resignation. Mit einer matten Handbewegung bat er die Beamten in die Wohnung. „Geh wieder spielen, Fritz!“, forderte er seinen Sohn auf, um sodann auf zwei Stühle zu deuten. „Nehmen Sie Platz, meine Herren. Soll ich Ihnen etwas aufwarten lassen?“
Die Art, wie Demand die Frage formuliert hatte, ließ Cerny und Bronstein ablehnen. Demand setzte sich nun selbst. „Was wollen Sie noch wissen?“
„Erzählen Sie einfach ein bisschen aus Ihrem Leben“, gab sich Bronstein jovial.
„Ich bin hier geboren und aufgewachsen, habe nach der Volksschule ab September 1914 das Gymnasium bei den Schotten besucht und dort auch im Sommer 1923 maturiert. Danach war ich einjährig freiwillig bei der Armee, wo ich auch heute noch Reserveoffizier bin. Im Februar 1925 immatrikulierte ich mich an der hiesigen Universität und studierte bis 1927 Jus, danach bis 1929 Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule für Welthandel. Im Sommer jenen Jahres lernte ich Traude kennen, die ich dann drei Monate später heiratete. Ein halbes Jahr später, im Jänner 1930, kam Fritz auf die Welt, womit Sie wohl auch wissen, weshalb ich Traude geehelicht habe. Seit Jänner 1930 bin ich auch in der Firma meines Vaters tätig.“
„In welcher Funktion?“
„In keiner bestimmten. Ich bin, wenn Sie so wollen, sein Stellvertreter.“
„Sie allein?“
„Ich allein. Mein Bruder interessiert sich nicht so für die Firma. Er ist mehr ein … forschender Geist, jedenfalls kein Kaufmann.“
„Werden Sie jetzt die Firma Ihres Vaters fortführen?“
„Natürlich. Gemäß seinem Testament werden zwar wir beide Eigentümer des Unternehmens, aber es ist zwischen mir und Siegfried schon lange vereinbart, dass er quasi ein mehr als stiller Teilhaber
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