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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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und war dementsprechend hungrig. Kurz entschlossen stand er auf, begab sich wieder in sein Vorzimmer, zog dort Schuhe und Jackett an und schickte sich an, sein Haus zu verlassen.
    Das kleine Lokal an der nächsten Ecke, so wusste er, kredenzte ab halb sechs das Abendessen, und so war es naheliegend, dieses anzusteuern. Er hatte es auch schon beinahe erreicht, als sein Blick auf das nebenan befindliche Geschäft fiel. Es handelte sich um Herrn Duft, der hier Stoffe und Textilien feilbot. Bronstein kannte den alten Duft durchaus, denn er kaufte immer wieder einmal auf die Schnelle ein Hemd bei ihm, weil er anständige Ware zu akzeptablen Preisen anbot. Von dieser flüchtigen Geschäftsbeziehung wusste Bronstein aber auch, dass Duft konsequent Jiddisch sprach und in Sachen Judentum als echter Auskenner betrachtet werden konnte. Und Duft war ein wahrhaft toleranter Mensch, nie hatte er daran Anstoß genommen, dass sich Bronstein selbst nicht als Jude betrachtete, wiewohl er doch Bronstein hieß. Vielleicht, so dachte Bronstein spontan, konnte man ihn einfach einmal um Rat fragen, denn Duft würde ob Bronsteins Fragen nicht elitär die Nase rümpfen, vielmehr würde er sich freuen, etwas von seinem Wissen weitergeben zu können.
    Und so betrat Bronstein kurzerhand den Laden und wollte das Gespräch beginnen. Doch so etwas war gar nicht so leicht zu bewerkstelligen. Schließlich konnte man nicht einfach auf Duft zugehen und sagen: Wie ist das jetzt wirklich mit dem Judentum? So etwas musste denn doch ein wenig diplomatischer eingefädelt werden. Also grüßte er Duft freundlich, und dieser fragte ihn devot, womit er helfen könne, mit Hemden, Hosen oder vielleicht einer Krawatte. Bronstein ging jedoch auf die Frage nicht ein. Er starrte eine kleine Weile schweigendvor sich hin, dann sah er Duft direkt an: „Was, bitte schön, ist eigentlich der Unterschied zwischen Thora und Talmud?“
    Innerlich schimpfte er sich aus, denn nun war er doch mit der Tür ins Haus gefallen, doch Duft schien das nichts auszumachen, vielmehr lächelte der Mann auch weiter freundlich und beantwortete Bronsteins Frage mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte dieser sich eben nach der Qualität eines bestimmten Stoffs erkundigt.
    „Die Tojre, mein teierer Herr Bronstein, dos seinen die finf Bicher Moses, wos ich bin sicher as ihr hot amol gehert. Un zusammen mit die Bicher von die Profetn und mit andere Schriftn mocht dos die Rosche-Tejwes, Tanach, die Bibel, wie mir Jiddn hobn. Und der Talmud is a grouß Werk wu es steht derin geschriebn dos, wos unsere grouße Gelernte hobn uns gelernt, wie asoj a Jid darf varstehn un haltn die Tojre.“
    Bronstein nickte: „Sie kennen sich gut aus in diesen Dingen.“
    „Ich bitte, Herr Bronstein, ich bin in Ganzen kein Kenner nit, ich will nit sein mehr wie a poscheter Jid, wos is a bissele frumm.“
    „Sehen Sie, Herr Duft, ich glaube nicht an irgendeine Religion. Und trotzdem versucht in letzter Zeit jedermann, mich in eine ganz bestimmte Ecke zu drängen.“
    Duft machte eine mitfühlende Miene: „Ich weiß, wos ihr willt sogn. Ober es ken doch sein, as dos is wie aso der Oubeschter kummt eich antgegen.“
    „Entgegenzukommen? Ich finde das nicht gerade entgegenkommend.“
    „Teierer Herr Bronstein, mir seinen alle die Kinder vun Avrom Awinu, von Abraham. Kennt sein, as der eine oder andere hot a bissele vargessn in dem. Ober der Bascheffer hot sie nit weniger lieb wie die andere. Weil er weiß, as mir willen, zum Soff, alle zurick kummen zu ihm. Und es is gor nit asou schwer, ihm zu gefinen. Weil as men macht nor ein Schrittoufn Weg zu ihm, wet er schon gehen dem weiterdigen Weg zu uns.“
    Unwillkürlich musste Bronstein lächeln: „Herr Duft, ich glaube, ich nehme bei Ihnen bei Gelegenheit Nachhilfe in Sachen Religion.“
    Duft hob abwehrend die Hände: „Ich mein, do wet ihr schon besser reden mit a Rabbiner. Der kenn eich sogn alles, wos ihr willt wissen. Und dernoch, wenn ihr willt, wet ihr schon wissen, wie asou zu halten Schabbes, wo zu tun Jom Kipper, Pessach oder Chanukke. Un wer kenn wissen, efscher welln mir sich schon sehn nit nor do, nor in Schil ouch, mirtse Schem. Es fehlt amol a Mann zum Minjen.“
    „Das Witzige an der Situation, in der ich mich befinde, ist, dass es mich tatsächlich zu interessieren begonnen hat, was es mit dem Judentum auf sich hat“, sagte Bronstein schließlich, nachdem er Duft berichtet hatte, was ihm in den letzten Tagen alles widerfahren

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