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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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willst, aber mir kam dieses Thema in letzter Zeit einfach zu oft auf, als dass ich es noch länger ignorieren könnte. Außerdem, wenn ich daran denke, was in Deutschland drüben los ist …“
    „Du glaubst doch nicht, dass dieser Wahnsinn sich eines Tages auch bei uns durchsetzt?“
    Bronstein ereiferte sich: „Warum denn nicht? Immerhin haben wir diesen Wahnsinn überhaupt erst erfunden. Der Hitler, wo kommt denn der her? Aus Braunau! Und wo liegt Braunau? Eben! Und seine Ideen, woher hat er denn die, hm? Hast du sein Buch gelesen? Da sagt er, es sei Wien gewesen,das ihm klargemacht habe, was der Jude anrichtet. Das steht da drinnen! Und das ist auch kein Wunder, wir hatten einen Schönerer, wir hatten einen Lueger, einen Kunschak und wie sie alle hießen. Und in dem Punkt waren sich sogar die Sozis mit der Regierung einig.“
    „Jetzt übertreibst aber, Oberst“, beschwichtigte ihn Cerny, „die Sozis? Adler, Bauer, sage man nur.“
    „Na und, kannst dich nicht erinnern an diesen Schärf, diesen Bundesrat? Der hat Listen aufgestellt, wer in der Partei Jude ist und wer nicht. Und gekennzeichnet hat er die Juden mit einem J. Wo ist da noch der Unterschied zwischen Rot und Braun?“
    Cerny war immer noch um Begütigung bemüht: „Geh bitte, der Schärf. Wer soll denn das überhaupt sein. Irgend so ein Hinterbänkler! Der wird nie auch nur die geringste Rolle in seiner Bewegung spielen – wenn diese Bewegung überhaupt jemals wieder eine Rolle spielen wird. Nein, der ist keineswegs repräsentativ für die Sozis. Und für den deutschen Antisemitismus sind die Österreicher viel zu gemütlich. Du brauchst dir also nicht die geringsten Sorgen zu machen. Sie reißen ihre Witze über die Juden, genauso wie über uns Tschechen, nebenbei bemerkt, aber im Prinzip geht hier bei uns dann doch immer alles ganz pomali, wirst schon sehen. Und selbst wenn“, fügte Cerny nach kurzem Zögern hinzu, „irgendwelche braunen Rabauken sich an einem Juden vergreifen, dann schnappen sie sich irgendeinen armen Tuchhändler, den an seiner orthodoxen Aufmachung sogar sie als Juden erkennen, und nicht einen mondänen Weltbürger, wie du einer bist.“
    „Ich bin mir sicher, das hat sich der alte Demand auch gedacht“, entgegnete Bronstein resigniert.
    Cerny verstummte. Diesem Argument war nur schwer beizukommen, denn nach den Ermittlungen des Vormittags schien es nicht ausgeschlossen, dass die Nazis mit dem Tod des Fabrikanten in Verbindung zu bringen waren.
    „Du willst also nicht bei einem Essen die bisherigen Ergebnisse zusammenfassen und daraus folgende Schlüsse abgleichen?“, fragte Cerny daher nur.
    „Lassen wir die Dinge einfach einmal ein wenig setzen“, seufzte Bronstein, „vielleicht kannst du nach dem Essen noch einmal die Finanzen der Firma durchgehen und ein wenig abklopfen. Und morgen fühlen wir dann dem Holzer nochmals auf den Zahn. Ich glaube, mir reicht’s für heute. Ich geh nach Haus und leg mich hin. Ich denke, ich habe Kopfschmerzen.“
    „Ganz wie du meinst, Oberst. Wir sehen uns dann morgen früh im Büro.“
    „Genau. Und wenn es etwas Dringendes gibt, dann ruf mich zu Hause an. Dazu habe ich dieses Kastl ja.“
    „Geht in Ordnung. Bis dann, schönen Tag noch.“
    Die beiden nickten einander zu und trennten sich dann. Bronstein überquerte den Hohen Markt und schlug dann den Weg durch die Kärntner Straße ein. Nach leidlich fünfzehn Minuten kam er zu seiner heimatlichen Gasse, bog nach links ein und befand sich so endlich vor seinem Wohnhaus. Mühsam holte er seinen Schlüssel aus der Tasche, sperrte umständlich das Haustor auf und machte sich daran, die Stufen bis zu seiner Wohnung zu überwinden. Er öffnete deren Tür, ließ den Schlüssel auf die Kommode fallen und zog Schuhe und Jackett aus. Ohne Umschweife ging er in den Salon, wo er sich auf seinen Diwan setzte. Er überprüfte, ob auf dem kleinen Beistelltisch Zigaretten, Zündhölzer und Aschenbecher lagen, und ließ sich dann langsam nach hinten gleiten, bis er gänzlich auf dem Möbel lag. Er verschränkte die Hände auf seinem Bauch und schloss die Augen. Nur einen kleinen Moment ruhen, dachte er, nur einen winzigen Augenblick.
    Und schon war er eingeschlafen.
    Als Bronstein von seinem Nickerchen erwachte, schien die ärgste Mittagshitze vorüber zu sein. Er nahm seinen Weckerzur Hand und stellte fest, dass es auf 17 Uhr ging. Das, so dachte er, erklärte sein grollendes Magenknurren. Er hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen

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