Tacheles
Bronstein trocken und erntete sofort einen bösen Blick von Cerny, der ahnte, wie sehr dieser Satz Demand getroffen haben musste.
„Bei allem Respekt, Herr Oberst, aber Sie sind ein Schmock! Sie haben keine Ahnung, was …“
„Ich bitte Sie inständig, meine Herren“, fuhr nun Cerny dazwischen, „Sie mögen beide Ihre guten Gründe für Ihre Ansichten haben, doch darf ich Sie dennoch daran erinnern, aus welchem Grund wir eigentlich hier sind? Herr Demand, Sie haben uns eben Ihr Verhältnis zu Ihrer Stiefmutter geschildert, könnten Sie uns nun auch sagen, wie Sie das Verhältnis Ihres Bruders zu Ihrer Stiefmutter einschätzen?“
Demand war immer noch sichtlich aufgebracht über Bronsteins despektierliche Äußerung, und so brauchte er einige Zeit, ehe er den Inhalt von Cernys Frage innerlich verarbeitet hatte. „Darüber weiß ich praktisch nichts“, sagte er dann, „ich denke, ähnlich wie mein Verhältnis. Obwohl …“
„Obwohl was?“
„Obwohl es in letzter Zeit, wie mir auffiel, intensiver geworden zu sein scheint. Er war ein paar Mal bei ihr, soweit ich weiß. Aber worum es da gegangen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Irgendwelche geschäftlichen Dinge, vermute ich einmal, aber ich habe mit ihm nicht darüber gesprochen.“
„Und Sie können sich nicht vorstellen“, fuhr Cerny fort, „dass die beiden vielleicht private Gründe hatten, eine Begegnung zu suchen?“
„Private Gründe“, wiederholte Demand fragend, „worin könnten die denn bestehen? Die beiden sind doch beschaffen, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten.“
„Nun ja, Gegensätze ziehen sich doch mitunter an, heißt es.“ Bronstein hatte sich wieder ins Gespräch zurückgemeldet und meinte, immer noch einen flackernden Blick an Demand wahrnehmen zu können, den er offenbar tatsächlich tief beleidigt zu haben schien. „Ich weiß nicht, was Sie da andeuten wollen“, kam Demands Antwort kalt und schneidend.
„Was Herr Oberst Bronstein andeuten will, ist Folgendes: Könnten Sie sich vorstellen, dass Ihr Bruder und Ihre Stiefmutter eventuell Gefallen aneinander gefunden haben könnten?“
Demand war nun erst recht empört: „Also wirklich! Meine Stiefmutter mag ja vieles sein, eine Schickse ist sie nicht – und mein Bruder ist schon gar kein Scheigez. Ein Gannef vielleicht, aber sicher kein Scheigez.“
„Könnten Sie das vielleicht auf Deutsch wiederholen?“, bemühte sich Bronstein um Beherrschung und wirkte damit neuerlich provokativ.
„Ein Gannef ist jemand, der keiner ehrlichen Arbeit nachgeht. Das sollten Sie aber nun schon von Berufs wegen wissen, immerhin kommt das Wort Ganove davon. Und ein Scheigez ist ein unmoralischer Mensch, der es mit der ehelichen Treue nicht genau nimmt und überhaupt einen überaus fragwürdigen Lebenswandel führt.“
„Dürfen wir also aus Ihren Aussagen schließen, dass Sie es für ausgeschlossen halten, dass Ihr Bruder und Ihre Stiefmutter anders als rein geschäftlich verkehren.“
„Das dürfen Sie“, sagte Demand knapp.
„Gut. Dann bedanken wir uns vielmals für Ihre Kooperation. Wir dürfen uns empfehlen.“ Cerny sah Bronstein an, der sich gleich seinem Kollegen erhob. Offenbar erwartete Cerny von Bronstein eine versöhnliche Geste, und so räusperte sichBronstein und sagte schließlich ebenfalls „Danke“, um nach einer kurzen Pause „Und Schalom auch Ihnen“, hinterherzuschicken, was aus seinem Munde reichlich unsicher klang.
„Es mag Ihnen jetzt vollkommen absurd vorkommen, Herr Oberst, aber Sie werden Ihren Weg zurück zu Ihrem Volk schon noch finden.“ Die Klarheit, mit der Demand diesen Satz ausgesprochen hatte, ließ Bronstein konsterniert zurück. Er überlegte fieberhaft, welche passende Antwort es darauf geben könne, doch da ihm nichts einfiel, schwieg er einfach und schloss sich Cernys Wunsch nach einem „Guten Tag“ mit einem leichten Nicken an. Dann folgte er seinem Kollegen aus der Wohnung.
Vor der Tür blies Bronstein Luft aus. Er wollte das eben Erlebte verarbeiten, doch er sah sich sogleich mit einer Frage Cernys konfrontiert: „Was ist, gehen wir was essen? Es ist schon fast zwei vorbei.“
Bronstein zuckte mit den Schultern: „Ach, ich weiß nicht. Ich glaube, ich fühle mich nicht gut.“
„Ach, Oberst, lass es dir nicht durch all diese Eiferer vermiesen. Du bist, was du bist, und das genügt. Die Schwätzer sollen reden – hüben wie drüben.“
Bronstein blickte Cerny direkt an: „Es ist nett, dass du mich trösten
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