Tacheles
diesmal wohl kaum so desperat ausfallen mochte wie am Sonntag zuvor.
Bronstein fand noch eine weitere Meldung, die sicher Cerny gefreut hätte. Sigma Olmütz, das Team der Heimatstadt der Cernys, hatte den FC Wien mit 2:1 geschlagen. Cerny! Hektisch blickte Bronstein auf die Uhr, es war fünf Minuten vor neun. Wenn er den Major nicht warten lassen wollte, dann musste er sich sputen. Er ließ die Zeitung förmlich fallen, zahlte eilig, verließ überstürzt das Café und hastete die Herrengasse entlang. Erst in der Schottengasse fiel er allmählich in eine ruhigere Gangart, einerseits, weil er beginnendes Seitenstechen verspürte, andererseits, weil eine Verspätung von fünf Minuten sicherlich als tolerabel galt.
Im Büro angekommen, entschuldigte er sich bei Cerny, noch ehe er überhaupt seinen Hut abgenommen hatte. Doch Cerny winkte nur ab. „Du, kein Problem, wir haben ohnehin Zeit genug. Der Holzer ist, wie ich erfahren habe, heute auf einer Dienstreise ins Ungarische und daher ohnehin erst wieder morgen zu sprechen.“
„Das heißt, er kommt auch nicht zum Begräbnis seines Chefs?“ Bronstein war ehrlich erstaunt.
„So sieht es aus“, antwortete Cerny, „das Geschäft geht wohl vor.“
„Na, da sieht man es mal wieder. Jede Moral hat ihre Grenzen. Aber wir gehen schon hin, oder?“
„Das entscheidest wohl du, Oberst, immerhin bist du der Chef.“
„Auch wenn ich es für ein Klischee halte, dass sich beim Begräbnis des Opfers jemand selbst enttarnt, schaden kann es nie. Vielleicht sehen wir dort ja jemanden, den wir bis jetzt noch gar nicht auf unserer Liste haben. Und wenn wir ein wenig früher zu Tisch gehen, dann schaffen wir es in jedem Fall rechtzeitig.“ Bronstein machte eine kleine Pause: „Und was gibt es sonst Neues?“
„Ich habe die Zeit genutzt, um ein wenig unsere Karteien durchzugehen. Kannst du dich noch an die Namen erinnern, die uns Podlaha als Holzers Männer fürs Grobe nannte?“
„Moment, gleich kommt’s … nein, doch nicht. Ich fürchte, ich komm nicht drauf.“ Bronstein zog ein Schnoferl.
„Kotzler und Murer“, rekapitulierte Cerny. „Und was, glaubst, hab ich in unserer Kartei über die beiden gefunden?“
„Na, ich bin sicher, du wirst es mir gleich sagen.“
„Der Murer ist schon einmal ziemlich lang g’sessen. Anfang 1920 bis Ende 1924. Freigekommen im Rahmen einer Weihnachtsamnestie. Kriegt hat er damals sieben Jahre wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Eine Wirtshausschlägerei, bei der er seinem Gegner das Bierkrügel über den Schädel gezogen hat. Das hat der dann nicht überlebt. Der Murer ist relativ gut weggekommen, weil praktisch alle Zeugen für ihn ausgesagt haben, und außerdem dürfte er auf einen überaus verständnisvollen Richter gestoßen sein. Der Staatsanwalt hat übrigens damals eine Befangenheit des Richters konstatiert, da beide,Richter wie Angeklagter, im Weltkrieg im selben Regiment gedient hatten. Doch das Urteil hat dennoch gehalten.“
„Na, wieder ein hervorragendes Beispiel von Kriegskameradschaft, was?“
„Ja, aber es kommt noch besser. Der Kotzler is bei uns so was wie ein Stammgast. Sei Speiskoatn is schon fast beeindruckend zu nennen. Der Mann ist zweiunddreißig, war also zu jung für den Krieg, hat aber in Kärnten gegen die Jugoslawen gekämpft und darf sich deshalb auch Frontkämpfer nennen. 1924 war er sechs Wochen im Bau, weil er zwei Schutzbündler verdroschen hat, 1926 noch einmal drei Wochen in Untersuchungshaft wegen eines Raufhandels in der Steiermark. Damals hat man ihn allerdings wieder laufen lassen, weil er für die fragliche Zeit ein Alibi beibringen konnte – wenn auch mit beachtlicher Verspätung. 1928 und 1932 is er abermals g’sessen, beide Male wegen schwerer Körperverletzung. Eigentlich ein Wunder, dass der beim Demand nicht schon längst rausgeflogen ist.“
„Und wen hat er bei diesen beiden Gelegenheiten vermöbelt?“
„1928 war eine Eifersuchtsgeschichte, er hat den Galan einer Dame, für die er sich gleichfalls interessierte, in seine Grenzen verwiesen. Und 1932 hat er einen Zuhälter spitalsreif geschlagen, nachdem er sich mit diesem nicht über die Preise hatte einigen können. Damals wurde er zu drei Jahren auf Bewährung verurteilt, die immer noch laufen. Das Interessante daran ist übrigens, dass Kotzler seinen Widersacher zuerst zu Boden gerissen hat, um ihn dann mit Fußtritten zu traktieren. Am Ende der Auseinandersetzung sprang er dem Zuhälter mit durchgestreckten
Weitere Kostenlose Bücher