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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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welche dieser beiden Thesen nun die richtige ist, werden wir uns den zweiten Bruder zu Gemüte führen.“
    Cerny nickte: „Ja, das könnte funktionieren.“
    Die beiden gingen also über den Gang und klopften neuerlich. Es dauerte eine Weile, ehe ihnen geöffnet wurde. Siegfried Demand wirkte verschlafen, begriff nicht gleich, wer vor ihm stand. „Erinnern Sie sich noch?“, sprang ihm Cerny bei, „Oberst Bronstein von der Polizeidirektion Wien.“
    „Ach ja, richtig“, antwortete Demand, „Schalom. Sie müssen schon entschuldigen, aber ich pflege nach dem Mittagessen ein kleines Schläfchen zu machen, deshalb wirke ich im Augenblick wohl noch ein klein wenig derangiert.“
    Mit einem Mal begriff Bronstein, weshalb er sich schon seit geraumer Zeit so seltsam gefühlt hatte. Es war Mittag vorbei, und er hatte immer noch nichts gegessen. Da musste man ja Schwindelgefühle bekommen. Nach dieser Einvernahme galt es jedenfalls sofort eine Nahrungsquelle aufzutun, sagte er sich, wobei er hoffte, dass Cerny an dieser Stelle die Initiative in der Befragung ergreifen würde, denn wer durch Hunger schon stark geschwächt war, dem mochte manch wichtiger Satz entgehen. Am besten, man fragte Demand einfach schnell, was er über seinen Bruder und seine Stiefmutter wusste, und dann ab ins nächste Gasthaus, bevor man noch zu halluzinieren begann.
    „Wir hätten nur eine kleine Frage“, raffte Bronstein sich schließlich auf, „könnten Sie uns …“
    „Aber so kommen Sie doch erst einmal herein.“
    Cerny und Bronstein folgten Demands Einladung und setzten sich beide an den Küchentisch.
    „Kann ich Ihnen etwas aufwarten?“
    „Ein Glas Wasser wäre ob der Temperaturen nicht zu verachten“, erklärte Cerny.
    Während sich Demand um zwei Gläser bemühte, sah sich Bronstein in der Küche um. Ihm fiel auf, dass neben der Spüle zwei dieser modernen neuen Geräte standen, für die sich der Name Kühlschrank eingebürgert hatte. Sie waren immer noch sündhaft teuer, sodass er sich nicht einmal eines hätte leisten können. Umso naheliegender war Bronsteins Frage:
    „Wieso haben Sie denn hier gleich zwei Eiskästen stehen?“
    „Na, weil Fleisch von Milch getrennt werden muss. Das sollten Sie aber wissen, Herr Bronstein. Oder wissen Sie nicht, was koscher ist?“
    Warum musste alle Welt auf seinem vermeintlichen Judentum herumreiten? Bronstein spürte Groll in sich aufsteigen, und er beschloss, die Frage einfach zu ignorieren, obwohl er in seinem Gehirn den Gedanken aufblitzen spürte, weshalb denn Fleisch und Milch getrennt werden mussten.
    „Wie stehen Sie zu Ihrer Stiefmutter?“
    „Das ist keine Frage, die leicht zu beantworten wäre“, sagte Demand nach einigem Zögern, „man könnte behaupten, unsere Beziehung sei korrekt. Aber ich bezweifle, dass dies den Kern der Sache treffen würde. In Wahrheit haben wir praktisch nichts miteinander zu schaffen und gehen uns nach Tunlichkeit aus dem Weg. Wie Sie sich vorstellen können, war Vaters Entscheidung, das Fräulein von Krieger zu ehelichen, für die Familie keine friktionsfreie Angelegenheit. Es ist viel Porzellan zerschlagen worden damals, und ich fürchte mich jetzt schon vor den Szenen, die uns beim Begräbnis erwarten werden. Meine Mutter wird es keinesfalls hinnehmen, dass sie eventuell hinter dem Fräulein von Krieger zurückstehen muss.“
    „Und wie stehen Sie zu der Sache?“
    „Ich? Ich habe mich da nach Möglichkeit rausgehalten. Mich geht das alles eigentlich nichts an.“
    „Auch das Begräbnis nicht?“, fragte Cerny.
    „No, es wird kein jüdisches werden, und insofern zählt es eigentlich nur bedingt.“
    „Wirklich?“, platzte es aus Bronstein heraus, „gibt es da Unterschiede?“
    „Jetzt enttäuschen Sie mich aber endgültig, Herr Oberst. Sie sind ja der reinste Goi. Hat Ihnen Ihre Mame nicht beigebracht, was Sie Ihrer Religion schuldig sind? Adonai Elohim! Sagen Sie bloß, man hat Sie nie Ihren Tanach gelehrt. Wie soll ein Mensch Frieden finden, wenn über seinem Grab nicht gesprochen wird Schma Israel? …“
    „Ihre religiöse Einstellung in allen Ehren, Herr Demand“, unterbrach Bronstein den Vortrag seines Gegenübers, „aber für mich ist Religion Privatsache …“
    „Aber Sie glauben doch nicht etwa, dass Sie sich der Verantwortung Ihren Ahnen gegenüber so einfach entziehen können? Sie sind Bronstein, Sie sind Jude, das ist keine Frage der persönlichen Entscheidung …“
    „Das behaupten die Nazis auch“, reagierte

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