Tacheles
Zeichen zum Aufbruch geben würde.
Wenig später war alles geregelt. „Also gemma“, sagte Bronstein aufgeräumt und erhob sich. Er nahm das Buch, ging ein paar Schritte und tat dann so, als würde er es bei sich verstauen wollen und ließ es wirklich, wie eben geplant, tollpatschig fallen. Wie erwartet war Cerny spornstreichs bei ihm, bückte sich, hob den Gegenstand vom Boden auf und drückte ihn Bronstein in die Hand, ohne auch nur ein einziges Wort darüber zu verlieren. Bronstein stand einen Augenblick irritiert im Raum, dann folgte er seinem Kollegen auf den Flur. Auf seinem Gesicht machte sich grenzenlose Enttäuschung breit.
Die Fahrt zum Untersuchungsgefängnis dauerte keine fünf Minuten. Die beiden verließen ihren Wagen im Innenhof der Kaserne und begaben sich ins Stiegenhaus. Eine Treppe höher wandten sie sich nach links, wo sie bereits erwartet wurden.
„Herr Oberst! Herr Major! Es ist alles für sie in Verhörraum 2 vorbereitet. Falls Sie noch etwas brauchen sollten, Sie kennen ja das Procedere.“
„Zur Genüge. Danke.“
Cerny nickte dem Wachebeamten zu und öffnete die Tür. Er trat an den Tisch, an dessen anderer Seite Murer und Kotzler saßen. Es war nicht klar auszumachen, in welcher Stimmung sich die beiden befanden. Kotzler schien in der Tat schon etwas mürbe geworden zu sein, doch aus Murers Augen flackerte blanker Hass. Bronstein war Cerny in den Raum gefolgt und überließ, wie sie es zuerst besprochen hatten, zunächst Cerny die Initiative.
„Murer, du weißt, ein paar Wochen bist du auf jeden Fall wieder unser Gast. Dein Überfall auf den Herrn Oberst wird entsprechende Folgen haben, denen du nicht entgehen wirst. Aber das wird ein Kinderspiel sein gegen das, was dich noch erwartet.“
„A so, wos denn?“
„Du hast für die Nacht auf den 1. Juli kein Alibi. Wie auch dein sauberer Spezi da.“
„Mia woan im Bett und ham büselt, des kennan unsere Oiden bestätigen“, wiederholte Murer, was er schon bei der ersten Begegnung erklärt hatte.
„Stell dir vor, Murer, die haben das auch schon bestätigt. Beide. Sie haben jeweils ausgesagt, dass ihr zwischen zwei und drei Uhr morgens nach Hause gekommen seid. Der Mord an Herrn Demand geschah aber um Mitternacht. Und genau für diesen Zeitraum habt ihr beide kein Alibi.“
„Ihr woits uns do wos auhängan, wäu s’ z’ deppat seids, dass in richtichen Mörder findts“, brauste Kotzler auf, „oba wir woarn des ned. Wia hom wos Besser’s z’tuan ois an Jud’n moch’n. Merk da des, Behm, deppater.“
Cerny überging die Beleidigung: „Ach ja, und was, bitteschön?“
„Des geht di an Dreck aun, Kiwara.“ Dieser Satz kam wieder von Murer.
„Tja, dann werdet ihr euch keine Gedanken mehr darüber machen müssen, wie ihr den Rest eures Lebens das Geld für die Miete auftreibt. Das lebenslange Logis in Stein ist nämlich fast gratis. Es kostet euch nur ... das Leben.“
„Spinnst jetzt ganz, du Spinatwachter? Mia war’n des ned und aus.“
„Das Gericht wird das anders sehen. Alle Indizien sprechen gegen euch, und ihr habt, wie gesagt, kein Alibi.“
Kotzler erhob sich langsam von seinem Sessel und sah Cerny hasserfüllt an: „Jetzt sog i da einmal was, Kiwara. Jetzt red’ i, wia ma so schön sagt, Tacheles! Der Saujud, der elendige, is so wos von wurscht, der is ned amoi a Schas im Woid, vastehst. Mia san a Teu von wos vü Greßern, do hamma ka Zeit, irgendan Scheiß-Itzig oz’krageln, vastehst. Dei G’schicht kaunst da am Huat pick’n, die glaubt da eh kaner. Ich kenn mi aus, Schwurgericht und so. Du glaubst do ned wirkli, dass uns irgendwer verurteiln tät ... weg’n an Jud’n.“
Bronstein beobachtete die Szene, immer noch hinter Cerny an der Wand lehnend. So Unrecht hatte der kleine Nazi leider nicht. Die Bevölkerung, davon hatte er sich in den letzten Tagen selbst überzeugen können, war keineswegs in Liebe zu den jüdischen Mitbürgern entflammt, und wenn man einen Täter nicht wirklich hieb- und stichfest eines Mordes überführen konnte, dann bestand in der Tat die Gefahr, dass die Geschworenen ihn laufen lassen würden. Umgekehrt würde die Sache natürlich ganz anders aussehen. Ein angeklagter Jude, dem etwa vorgeworfen wurde, eine rein arische Mutter dreier Kinder ermordet zu haben, würde derzeit wohl selbst dann zur Höchststrafe verurteilt, wenn die Indizien auch nur möglicherweise gegen ihn sprachen.
„Ihr habt also Wichtigeres zu tun. Und was sollte das sein?“ Bronstein wurde aus
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