Tacheles
seinen Gedanken gerissen, als Cerny die nächste Frage stellte.
„Des wirst scho nu sehn“, trompetete Kotzler.
„Ach ja, wahrscheinlich wirst du in die Geschichte deiner Bewegung eingehen“, spottete Cerny.
„Ganz sicher“, kam es postwendend von Kotzler zurück, „mia wer’n der Geschichte in den Arm fallen.“
Bronstein registrierte, wie Murer Kotzler hinter dem Tisch zurückzuhalten versuchte, doch dieser hatte sich offenbar in Rage geredet.
„Bald wird’s aus sein mit dem verrotteten System da. Das deutsche Volk erhebt sich, der Schand- und Knebelvertrag von Wersai und von Säu Schermäu wird von unserem geliebten Führer zerrissen werden, Deutschland ist erwacht, und da werden wir ganz sicher nicht abseits stehen.“
Bronstein erkannte, dass Kotzler nun dazu übergegangen war, Parolen zu zitieren, die er auf irgendwelchen Naziversammlungen aufgeschnappt haben musste, denn er war unmerklich vom breiten Dialekt in eine Art österreichisches Hochdeutsch, das dabei möglichst preußisch klingen sollte, gewechselt. Bronstein fiel auch auf, dass Kotzlers Augen, die eben noch so voller Hass gewesen waren, jetzt eine Art fanatisierte Ekstase aufwiesen. Als wäre er der Versammlungsredner auf irgendeinem Gauparteitag, schwadronierte Kotzler weiter, nicht auf Murers Bemühen, ihm Einhalt zu gebieten, achtend: „Viel zu lange schon ist unsere Heimat widernatürlich getrennt von den übrigen deutschen Brüdern. Das deutsche Volk hat alles Recht auf Erden, und das wird es sich auch nehmen. Bald sind wir die Herren, und auf die Gräber der Judenknechte, die dem Bankhaus Rothschild untertan sind, werden wir bestenfalls noch spucken. Die Demokratie, die ja nur eine jüdische Plutokratie ist, hat ausgedient. Jetzt kommen wir, und zwar schon bald.“
Während Bronstein noch dachte, dass die Demokratie schon vor geraumer Zeit ausgedient hatte, setzte Cerny nach: „Und wie bald ist bald?“
„Schon morgen ...“, rief Kotzler emphatisch, ehe er brüsk von Murer zurück auf den Sessel gerissen wurde. „Bist deppat?“, hörten Cerny und Bronstein den Älteren zischen, und instinktiv spürten beide Ermittler, dass sie der Zufall auf eine Spur geführt hatte, die zwar nicht mit dem Fall Demand in Zusammenhang stand, die aber nach oben weiterzuleiten durchaus angezeigt war.
Angezeigt war.
Bronstein war so vom Donner gerührt, dass er sich doch tatsächlich mit der Hand auf die Stirn schlug. Was hatte er da am Morgen auf seinem Schreibtisch achtlos beiseite gelegt. Irgendeine Aktennotiz eines Beamten des Bezirkskommissariats Innere Stadt. Da ging es doch auch um eine Aktion der Nazis. Was war das noch gleich?
Bronstein spürte, wie er unruhig wurde. Er wäre dieser Sache gerne auf den Grund gegangen, doch hielt ihn das Verhör vorläufig hier fest.
Andererseits würden im Augenblick, nach einer derartigen Entladung, ohnehin keine weiteren Ergebnisse zu erwarten sein. Mittlerweile wusste auch Kotzler, dass er einen Fehler begangen hatte, und die beiden feinen Herren würden jetzt wohl nur noch schweigen. Zumindest für eine Weile, bis es Cerny abermals gelang, einen der beiden, vermutlich wieder Kotzler, neuerlich aus der Reserve zu locken.
„Machen wir eine Pause“, sagte Bronstein und nickte in Richtung der Tür. Cerny erhob sich und folgte seinem Vorgesetzten auf den Gang. „Was meinst du, Oberst? Waren sie’s?“
„Na ja, im Hause Demands will sie niemand gesehen haben, aber das will nichts heißen. Die Frage ist eher, warum sie, wenn sie es denn getan haben, einen solchen Weg gewählt haben. Es war doch klar, dass wir ihnen auf die Schliche kommen würden – bei ihrer kriminellen Vorgeschichte und ihrer politischen Sozialisierung.“
„So weit haben die beiden vielleicht gar nicht gedacht, denn, und davon bin ich weiterhin überzeugt, die beiden haben die Tat sicherlich nicht aus eigenem Antrieb begangen – wenn sie sie begangen haben.“
Bronstein rieb sich die Schläfen. „Gott, das ist alles so kompliziert. Wir haben eine Theorie, die besagt, dass die beiden da drinnen ausführendes Organ eines Mordkomplotts waren, das von Holzer oder vom jungen Demand oder von beiden ausgeheckt wurde. Die Frage ist, ob es irgendeine andere Variante des Tathergangs geben könnte, die wir bislang außer Acht gelassen haben. Derzeit ist meine Antwort darauf: Nein. Denn irgendwelche Eifersüchteleien scheiden für mich aus. Eine Frau tötet anders. Und ...“
„Eine Frau ja. Vielleicht aber gab es einen
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