Taenzer der Nacht
wäre lieber Penner geworden als Werbetexter.
Das Band, das bei der Totenfeier gespielt wurde, hat ten Sutherland und Malone einmal zum größten Kunst werk seit der Sixtinischen Kapelle erklärt; und es war vor fünf Sommern von dem Discjockey zusam men gestellt worden, der jetzt für den homosexuellen Grafen in Paris spielte, in dem Sommer, in dem ihnen das Tanzen auf Fire Island am meisten Spaß gemacht hatte. Anschließend ging die Trauergemeinde zu Eröff nung einer neuen Diskothek in Soso. Es gab jetzt zu viele Diskotheken, und die Stücke, die man dort zu hören bekam, waren Musik, die unserer Ansicht nach nur zum Rollschuhlaufen geeignet war. Aber diese Leute würden wohl nie aufhören zu tanzen.
Das einzige Mitglied von Sutherlands Familie, das zur Beerdigung kam, war ein glatzköpfiger, wohlerzo ge ner Bruder, von dem wir noch nie zuvor gehört hatten; aber man hatte sich sowieso nie vorstellen können, daß Sutherland eine Familie hatte, die sich aus den üblichen Gestalten in dem üblichen Haus an der üblichen Ecke zusammengesetzt hätte, mit einer Gara genauffahrt, auf der Kinder an heißen Samstagnach mit ta gen in Kniestrümpfen gespielt hätten. Seine Mutter in Richmond war krank und konnte die Reise nicht mehr auf sich nehmen. Irgendwie war das ebenso gut; denn die meisten von uns, die wir nur noch unter den Schwulen New Yorks lebten, hatten vergessen, daß sie überhaupt noch eine Familie hatten. Familien gehörten zu der unergründlichen Vergangenheit west lich des Hudson. Und wenn eine Trine aus dem Fen ster gesprungen war, und man hörte, daß die Familie in die Stadt gekommen war und die Leiche verlangte, war das genauso, als ob man hörte, daß ein Leichen tuch aus der Finsternis gekommen sei, um den Toten aufzunehmen und dorthin zurückzubringen, wo es die Drei Schicksalsgöttinnen verlangten, in die Hügel von Ohio oder Virginia. Es gab also keine Familie, die um Sutherland hätte trauern können. John Schaeffer war zu diesem Zeitpunkt vor der Küste von Neuschottland und las Proust im silbernen Sonnenlicht, das sich meilen weit um ihn herum makellos ausdehnte.
Die einzige Person, die man vermißte, und die jeder vermißte, der die beiden all die Jahre hindurch gese hen und angenommen hatte, sie seien ein Paar, war Malone. Seine Abwesenheit war das Hauptgesprächs thema; denn inzwischen hatte man allgemein das Ge rücht akzeptiert, daß er selber tot war, in den Flammen der Everard Sauna umgekommen, und die Tatsache, daß er nicht auf der Totenfeier war, war der Beweis. Malone war in den Flammen zugrundegegangen, zu sam men m it den schmierigen Matratzen, den Tunten, die im Dope-Rausch in den Armen eines Fremden auf wachten, um sich inmitten brennender Wände wieder zufinden, mit den 130 Liegen, auf denen er so viele dunkeläugige Engel verehrt hatte, wie ein Mann aus einer heiligen Quelle trinkt.
Ob das nun stimmte oder nicht, jedenfalls mußte ich immer an dasselbe Bild denken: das einer Winternacht, als die Everard Sauna der Ort war, zu dem wir alle strömten, besonders nach einer Nacht begnadeten Tan zens im Twelfth Floor, wenn das einzige, was die Musik übertreffen konnte, die Umarmung eines Liebhabers war. Ich traf auf Malone im dunklen Durchgang im dritten Stock, an dem kleinen Fenster, aus dem die Leute am Morgen des Brandes sprangen, sich die Knochen brachen und starben wie Schaben, die von einem heißen Ofen fallen. Es war kalt und schneite in jener Nacht, und der Durchgang voller Körper war dadurch eher noch geiler. Malone stand am Fenster, schaute durch den Dschungel der Eisblumen hinaus auf den fallenden Schnee, sah zu, wie der Schnee auf die Twenty-eighth Street fiel, auf die Mülltonnen, die silbernen Hälse der Straßenlampen, während sich an ihm die muskulösen Männer vorbeischoben, die seinen Blick auf sich lenken wollten in der Hoffnung, Malone zu bekommen, sobald er sie nur ansähe. Aber Malone stand nur weiter da, im Hause des Fleisches, im Tem pel des Priapus, und starrte hinaus in den glitzernden Schneefall. Das war es. Das war Malone! Inmitten der wollüstigen Leiber zu stehen, gefesselt von der kalten, einsamen, verlassenen Straße.
In den Straßen vor dem Friedhof war es jetzt bereits Herbst, während ich dastand und die Trauergäste betrachtete, die herausströmten, um zur Eröffnung des Flamingo tanzen zu gehen, und die Nacht war kühl und vielversprechend. Der Herbst gab unserem Leben immer einen undefinierbaren Zug von Hoffnung, denn der Winter
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