Tag der Entscheidung
Luft und Sonnenlicht. Sie sah ihren Kommandeur an; auch sein normalerweise vom Wetter gezeichnetes Gesicht war blaß geworden während der Reise, die sie durch die Cho-ja-Tunnel von Sulan-Qu zum weit entfernten, auf einer Halbinsel gelegenen Hafen Kolth geführt hatte.
Mara hatte die südlichsten Ausläufer der Provinz Hokani nie zuvor bereist. Aber sie hatte von Jican Beschreibungen gehört, und eine ungestillte Neugier nagte an ihr. Nur zu gern hätte sie sich an Deck gestohlen, sogar noch in der finstersten Nacht, nur um die Stadt der Ebene zu sehen! Hier war der große Spalt, von dem Kevin in seine Heimatwelt Midkemia zurückgeschickt worden war, hier waren auch die herrschaftlichen Gildehäuser, der Mittelpunkt des kaiserlichen Handels im Süden.
Aber sie durfte sich nicht wegen irgendwelcher extravaganter Launen den Unmut der Versammlung zuziehen. Etwas Glück und Lujans Einfallsreichtum hatten eine falsche Fährte gelegt, die in Sulan-Qu endete, wo die Lady der Acoma sich offensichtlich in der Abgeschiedenheit des Tempels Turakamus befand. Wenn die Schwarzgewandeten nur im geringsten ahnten, daß sie getäuscht worden waren, wenn auch nur ein einziger armseliger Bettler sie auf der Straße zufällig als Gute Dienerin des Kaiserreiches erkannte, würden sie und ihre Familie sich sofort in Lebensgefahr befinden. Und so hatte Mara getan, was nach den Sitten der tsuranischen Aristokratie undenkbar war: Sie hatte die Kleider einer Sklavin angelegt und Sulan-Qu in Begleitung von Lujan und Saric verlassen, die beide die Rüstung von Söldnern trugen. Die Bauern und Händler, die noch vor Sonnenaufgang unterwegs waren, hatten sie für eine Kriegstrophäe gehalten. Nicht im geringsten hatten sie daran gedacht, ihr Sklavengrau in Frage zu stellen, sondern statt dessen offen auf ihre schlanke Figur und ihr glänzendes Haar gestarrt. Ein paar hatten schmutzige Bemerkungen gemacht, die Lujan entsprechend phantasievoll beantwortet hatte. Seine schockierende Roheit hatte die Tatsache überspielt, daß Saric, dem es zunächst nicht leichtfiel, die Tradition für ein Schauspiel abzuschütteln, bei den Beleidigungen, die Mara galten, erstarrte.
Die Botschaft eines Agenten von Arakasi hatte zu raschem Handeln gezwungen. Als Mara und ihre beiden Offiziere den Cho-ja-Stock auf ihren Gütern erreicht hatten, schlossen sich ihnen zehn handverlesene Krieger in wappenlosen Rüstungen an und noch ein Hafenarbeiter, den sie nie zuvor gesehen hatte, der jedoch Thuril als Muttersprache gelernt hatte. Kamlio begleitete sie, wieder in die gleichen Lumpen gekleidet, in denen Arakasi sie mitgebracht hatte, und ziemlich mißmutig angesichts der Aussicht, unterhalb der Erde mit diesen angsteinflößenden insektenähnlichen Wesen reisen zu müssen.
Erschöpft von der Anspannung, dem Eingesperrtsein und der ungewohnten Erfahrung, wie eine Ware angestarrt zu werden, warf sich Mara in die Kissen des Alkovens, den sie einst mit Kevin auf einer längst vergangenen Reise nach Tsubar geteilt hatte. In dieser vertrauten Umgebung schmerzte sein Verlust besonders stark, als hätten sie sich erst gestern getrennt. Fast bedauerte sie, die Coalteca gekauft zu haben; warum war sie nicht klug genug gewesen, auf Sentimentalitäten zu verzichten und irgendein anderes für die hohe See geeignetes Handelsschiff zu kaufen?
Doch die Coalteca war verfügbar gewesen, und sie hatte einfach gehandelt, ohne sich mit Jican zu beraten. Das Schiff brachte Glück, das spürte sie; ihr Triumph mit dem Lord der Xacatecas in Dustan brachte ihr noch immer die Bewunderung der Menschen im Kaiserreich ein, und gerade jetzt, wo so furchtbare Kräfte wie Jiro und die Versammlung gegen sie Aufstellung bezogen, brauchte sie jeden Rückhalt, um ihren Mut zu stärken – selbst einen, der im Aberglauben wurzelte.
Vielleicht hätte Kevin über ihre irrationale Haltung gelacht. Mara war selbst unzufrieden mit sich, weil sie in der Vergangenheit steckenblieb, während die Zukunft in Gefahr war, doch wenn sie sich von ihren Erinnerungen an ihren fremdländischen Liebhaber abwandte, dann nur, um sich wegen Hokanu Sorgen zu machen.
Ihr Ehemann wußte nicht, wo sie war, und er durfte um der Götter willen auch kein Sterbenswörtchen erfahren, ehe sie sich nicht tief im Gebiet der Thuril befand. Mara bedauerte sehr, daß sie seit ihrem unglücklichen Treffen nach Kasumas Geburt nur wenig Gelegenheit gehabt hatte, mit ihm zu sprechen. Jetzt wünschte sie sich mehr als alles andere, sich
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