Tag der geschlossenen Tür
die Mauer und zieht ein Bier aus ihrer Tasche. Sie sieht blendend aus. Finde zumindest ich.
»He, Sonntag.«
»Hi, Susanne. Freut mich, dass du hier bist.«
»Das freut mich, dass du dich freust. Ein schöner Platz ist das hier.«
»Warst du schon mal hier oben?«
»Ja, aber ist schon lange her.«
Wir sitzen nebeneinander, trinken und wissen nicht so recht, was wir sagen sollen.
»Hey, Gratulation zu dem Ding mit dem Verlag. Ich hoffe, das wird was. Jetzt hängt’s doch eigentlich nur an dir, oder?«
»Das stimmt. Anstrengende Situation. Ich muss mal sehen, ob ich das überhaupt will.«
Wir trinken, ich zünde uns zwei Zigaretten an.
»Susanne, was denkst du, meinst du, dass Männer und Frauen zusammengehören?«
»Ich zweifle daran. Ich glaube, dass wir uns brauchen, dass wir uns immer wieder treffen müssen, dass unsere Körper sich wollen, aber wenn wir zusammenbleiben, erstarren unsere Begegnungen in Gewohnheiten.«
»Und ist dann nicht die islamische Methode die richtige? Männer leben in einer Männerwelt und Frauen in einer Frauenwelt, und ab und zu trifft man sich.«
»Wenn keiner dabei unterdrückt werden würde, fände ich das Modell ganz gut. Mein Problem ist – ich will nicht in einer Frauenwelt leben. Mich interessieren Frauen nicht so stark.«
»Mir geht’s genauso. Schreckliche Vorstellung, in einer Männerwelt leben zu müssen. Ich möchte lieber in einer Frauenwelt leben.«
»Das würdest du nicht aushalten.«
»Stimmt. Also müssen wir doch als Individuen, vereinzelt, einsam, mit Abstand zu den anderen, zur Welt und zu uns durchs Leben treiben, oder wie?«
»Ja, und ich bin froh drüber. Ich bin froh, dass wir keine gesellschaftlichen Rollenmodelle mehr brauchen, dass uns der Rückblick reicht, um zu sehen, wie es nicht gehen kann. Dass die Verantwortung bei jedem Einzelnen liegt. Mit ›wir‹ meine ich natürlich uns beide und etwa zwanzig andere und nicht das Heer an Spießern, die sich neuerdings wieder in den Dienst von Religion und Ehe stellen.«
»Susanne, du bist so angenehm arrogant, das gefällt mir sehr an dir. Wie so vieles.«
Sie schaut mich von der Seite an. Ich begegne ihrem klaren Blick und finde darin so etwas wie Zärtlichkeit. Mein Herz pocht unversehens heftiger.
»Sonntag, ich muss dir etwas sagen.«
»Dann sag es ruhig.«
»Ich habe einen Fehler gemacht.«
»Ich verstehe dich nicht ganz.«
»Ich … äh … ich weiß nicht genau, was das hier zwischen uns ist.«
»Ich weiß es auch nicht, aber es fühlt sich gut an.«
»Ja, das finde ich auch, aber da liegt das Problem. Ich habe einen Freund … einen Freund, den ich sehr mag, und ich möchte in dir keine falschen Hoffnungen wecken …«
Ein dumpfes Gefühl breitet sich in mir aus, eine wachsende Enttäuschung, das Gefühl, als würde ein Feuer verlöschen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
»Das Problem dabei ist, dass ich auch dich wirklich mag. Dass ich dich anziehend finde und interessant und auch gut aussehend. Wirklich. Wäre ich nicht vergeben …«
»Tja. Was soll ich dazu sagen?«
»Ich möchte dich trotzdem küssen. Nur ein einziges Mal.«
Ich kann nichts erwidern. In mir glimmen eine erwachende Hoffnung und ein Funken von Lust. Sie wartet meine Antwort nicht weiter ab, sondern nähert sich mir, sieht mir in die Augen, fasst sanft meine Schultern an. Die Energie geht sofort auf mich über, alle Gedanken und Befürchtungen fallen von mir ab, der Augenblick drängt sich mit Macht ins Sein, ich lege meine Arme um ihren Rücken, umfasse ihre Taille und ziehe sie langsam an mich. Ihr dunkles Gesicht ist meinem ganz nah, ihre Haare berühren meine Wangen und meine Stirn und rahmen unser Sichtfeld ein, verschworen und erregt voneinander, wie in einem Versteck hören wir unseren Atem, verzehren uns nach den Händen des anderen. Dann berühren sich zum ersten Mal unsere Lippen, langsam und weich und trocken noch, der Glanz in ihren Blicken, die wie Wasser über mich fließen, unsere Zungen, die sich umschlingen, ihre glatten Zähne, die ich spüre, an denen ich entlanggleite, und der Geschmack ihres Wesens, so neutral und tief, ich schließe die Augen, sehe explodierende Farben und Schleier, Wellen von Botenstoffen durchspülen mich, heben mich an, und ich reite auf ihnen durch ein Meer von schwarzer, sich überschlagender Liebe. O Liebste. O Geliebte. Wer auch immer du bist. Nie war jemand mir näher, nie wird jemand mir näher sein als du hier und jetzt. Lass sie anhalten, die
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