Tag und Nacht und auch im Sommer
die schwerste Arbeit überhaupt, er spreche aus Erfahrung, weil er mal im Ferienlager versucht habe, einer Schar kleiner Kinder etwas über die Dinge beizubringen, die aus dem Boden wachsen, aber die hätten ihm nicht zugehört, sondern seien nur rumgerannt und hätten Insekten gejagt, bis er sauer wurde und sagte, er würde ihnen in den Arsch treten, und das sei das Ende seiner Lehrerlaufbahn gewesen, also ein bißchen mehr Rücksicht auf Mr. McCourt, wenn ich bitten darf. Aber bevor wir uns alle an die Arbeit machten, wolle er noch klarstellen, daß er zwar nichts gegen Weltliteratur habe, jetzt aber nur noch Veröffentlichungen des Landwirtschaftsministeriums und Zeitschriften über Ackerbau und Viehzucht lese. Er sagte, bei der Landwirtschaft gehe es um mehr, als man auf den ersten Blick sehe, aber das sei ein anderes Thema, und ich wolle doch
sicher mit meinem Stoff weitermachen, und was war das noch gleich, Mr. McCourt?
Was sollte ich mit diesem Riesenkerl auf dem Fensterbrett machen, dem zukünftigen großen jüdischen Farmer Amerikas? Jonathan Greenberg hob die Hand und fragte, was das denn sei an der Landwirtschaft, das man nicht auf den ersten Blick sehe.
Bobs Miene verdüsterte sich kurz. Es ist wegen meinem Dad, sagte er. Er hat Probleme mit dem Mais und den Schweinen. Er sagt, Juden essen keinen Mais vom Kolben. Er sagt, man kann in Williamsburg und Crown Heights zur Abendbrotzeit eine Straße rauf und die andere runtergehen und in jüdische Fenster schauen und wird nie wen sehen, der an einem Maiskolben nagt. Das ist einfach nichts für Juden. Die Körner bleiben im Bart hängen. Zeig mir einen Juden, der einen Maiskolben ißt, und ich zeig dir einen, der seinen Glauben verloren hat. So redet mein Dad. Aber der eigentliche Stein des Anstoßes sind die Schweine. Ich hab meinem Dad gesagt, daß ich sie mag. Ich hätte nicht vor, sie zu essen oder so, aber ich würde sie gern aufziehen und sie an die Gojim verkaufen. Was ist dagegen zu sagen? Das sind wirklich liebenswerte Tiere, und sie können sehr zutraulich werden. Ich hab meinem Dad gesagt, ich werde heiraten und Kinder kriegen, und die werden die kleinen Ferkel unheimlich süß finden. Da ist er so ausgerastet, daß meine Mutter sich hinlegen mußte. Vielleicht hätt ich’s ihnen nicht sagen sollen, aber sie haben mir beigebracht, daß man die Wahrheit sagen muß, und irgendwann wär’s sowieso rausgekommen.
Es klingelte. Bob stieg vom Fensterbrett und gab Jonathan Stift und Papier zurück. Er sagte, sein Vater, der Rabbiner, werde nächste Woche kommen und mit mir reden, und entschuldigte sich dafür, daß er den Unterricht gestört habe.
Der Rabbiner saß vor mir, hob die Hände gen Himmel und sagte Oy. Ich dachte, er scherzt, aber die Art, wie er das Kinn auf die Brust sinken ließ und den Kopf schüttelte, verriet mir, daß er
kein glücklicher Rabbiner war. Er fragte, Bob, wie macht er sich so? Er hatte einen deutschen Akzent.
Gut, sagte ich.
Er bringt uns um, bricht uns das Herz. Hat er’s Ihnen erzählt? Er will Farmer werden.
Ein gesundes Leben, Mr. Stein.
Ein Skandal. Wir bezahlen ihm nicht das Collegestudium, damit er hergeht und Schweine züchtet und Mais anbaut. Man wird auf der Straße mit Fingern auf uns zeigen. Meine Frau wird das nicht überleben. Wir haben ihm gesagt, wenn er dabei bleibt, muß er sich alles selber finanzieren, Punktum! Keine Sorge, sagt er, es gibt jede Menge staatliche Stipendien für junge Leute, die Farmer werden wollen. Er weiß alles darüber. Im Haus stapeln sich Bücher und Schriften aus Washington und von einem College in Ohio. Wir haben ihn verloren, Mr. Mc-Coot. Unser Sohn ist gestorben. Wir können keinen Sohn haben, der sich Tag für Tag mit Schweinen abgibt.
Das tut mir leid, Mr. Stein.
Sechs Jahre danach traf ich Bob auf dem Lower Broadway. Es war ein Januartag, aber er trug die obligaten kurzen Hosen und das Orson-Welles-Jackett. Er sagte, hi, Mr. McCourt. Wunderschöner Tag heute, nicht wahr?
Es ist eisig, Bob.
Ach, das ist schon okay.
Er erzählte mir, daß er bereits bei einem Farmer in Ohio arbeite, aber die Sache mit den Schweinen könne er nicht durchziehen, das könne er seinen Eltern nicht antun. Ich sagte, das sei eine gute, rücksichtsvolle Entscheidung.
Er hielt inne und sah mich an. Mr. McCourt, Sie haben mich nie leiden können, stimmt’s?
Ich dich nicht leiden können, Bob? Wo denkst du hin? Es war die reine Freude, dich in der Klasse zu haben. Jonathan hat
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