Tag und Nacht und auch im Sommer
gesagt, du hast die Trübsal aus dem Klassenzimmer geblasen.
Sag’s ihm, McCourt, sag ihm die Wahrheit. Sag ihm, daß er deine Tage vergoldet hat, daß du deinen Freunden von ihm erzählt hast, was für ein Original er ist, wie du seinen Stil bewunderst, seine gute Laune, seine Ehrlichkeit, seinen Mut, daß du deine Seele hergeben würdest für einen Sohn wie ihn. Und sag ihm, wie schön er in jeder Hinsicht war und immer noch ist, daß du ihn damals geliebt hast und ihn immer noch liebst. Sag’s ihm.
Ich sagte es ihm, er war sprachlos, und mir war es piepegal, was die Leute auf dem Lower Broadway dachten, die uns in einer langen, herzlichen Umarmung sahen, den High-School-Lehrer und den zukünftigen großen jüdischen Farmer Amerikas.
Ken war ein koreanischer Junge, der seinen Vater haßte. Er erzählte vor der Klasse, daß er als Kind Klavierstunden nehmen mußte, obwohl sie kein Klavier hatten. Sein Vater zwang ihn, auf dem Küchentisch Tonleitern zu üben, bis sie sich ein Klavier leisten konnten, und wenn sein Vater argwöhnte, daß er nicht ordentlich übte, schlug er ihm mit einem Kochlöffel auf die Finger. Seiner sechs Jahre alten Schwester auch. Als sie ein echtes Klavier bekamen und sie »Chopsticks« spielte, zerrte der Vater sie vom Hocker, schleifte sie auf ihr Zimmer, riß ein paar Kleider von ihr aus den Schubladen, stopfte sie in einen Kopfkissenbezug und zerrte seine Tochter die Treppe hinunter in den Keller, wo er vor ihren Augen die Kleider im Ofen verbrannte.
Das wird dich lehren, ordentlich zu üben.
Als Ken zur Grundschule ging, mußte er zu den Pfadfindern und sich massenweise Abzeichen verdienen, mehr als jeder andere in seiner Schar. Als er dann auf der High School war, verlangte der Vater, daß er alles daransetzte, Eagle Scout zu werden, weil das einen guten Eindruck machen würde, wenn er sich in Harvard bewarb. Ken war der Zeitaufwand für den Eagle Scout eigentlich zuviel, aber er hatte keine Wahl. Harvard stand
vor der Tür. Außerdem zwang ihn sein Vater, sich im Kampfsport auszuzeichnen, einen Gürtel nach dem anderen zu erwerben, bis er den schwarzen hatte.
Er gehorchte immer, bis die Entscheidung für ein College anstand. Sein Vater sagte ihm, er müsse sich auf zwei Universitäten konzentrieren, Harvard und M. I. T. Sogar daheim in Korea wisse jeder, daß nur eine von diesen beiden in Frage käme.
Ken sagte nein. Er wollte sich an der Stanford University in Kalifornien bewerben. Er wollte auf der anderen Seite des Kontinents leben, so weit weg von seinem Vater wie möglich. Sein Vater sagte nein. Das werde er nicht zulassen. Ken sagte, er werde entweder nach Stanford oder überhaupt nicht aufs College gehen. Der Vater baute sich in der Küche bedrohlich vor ihm auf. Ken, der Kampfsportexperte, sagte, probier’s, Dad, und Dad strich die Segel. Dad hätte sagen können, na gut. Tu, was du für richtig hältst, aber was würden dann die Nachbarn sagen? Was würden sie in seiner Kirche sagen? Man stelle sich vor, ein Sohn, der die Stuyvesant High School absolviert hat und sich dann weigert, aufs College zu gehen. Diese Schande! Seine Freunde schickten ihre Kinder voller Stolz nach Harvard und aufs M. I. T., und wenn Ken die Familienehre nicht völlig gleichgültig sei, müsse er Stanford vergessen.
Ken schrieb mir aus Stanford. Er genoß die Sonne da drüben. Es lebte sich am College leichter als an der Stuyvesant High School – weniger Druck, weniger Konkurrenz. Er hatte gerade einen Brief von seiner Mutter bekommen, die ihn ermahnte, sich ganz auf sein Studium zu konzentrieren und auf alle Freizeitaktivitäten zu verzichten, kein Sport, keine Clubs, nichts, und falls er nicht in allen Fächern auf einem glatten A stehe, brauche er zu Weihnachten gar nicht nach Hause zu kommen. Das sei ihm gerade recht, schrieb er mir. Er wolle ohnehin zu Weihnachten nicht nach Hause fahren. Und wenn doch, dann nur, um seine Schwester wiederzusehen.
Ein paar Tage vor Weihnachten stand er plötzlich in der Tür
meines Klassenzimmers und sagte mir, ich hätte ihm geholfen, das letzte Jahr an der High School zu überstehen. Eine Zeitlang habe er davon geträumt, mit seinem Vater in eine dunkle Gasse zu gehen, aus der dann nur einer von beiden wieder herausgekommen wäre. Dieser eine wäre natürlich er gewesen, aber drüben in Stanford habe er begonnen, sich Gedanken über seinen Vater zu machen, wie es gewesen sein mußte, als koreanischer Einwanderer Tag und Nacht Obst und Gemüse
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