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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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er zu Orson Welles sagen solle, denn er habe ganz andere Interessen als der Schauspieler.
    Außerdem trug er kurze Hosen, genauer gesagt, an den Knien abgeschnittene lange Hosen, und nein, die paßten nicht zu seinem Jackett, also bestand insoweit keine Verbindung zu Orson Welles.
    Er trug graue Socken, die so dick waren, daß sie in wollenen Wülsten über seine gelben Arbeiterstiefel hingen.
    Er hatte keine Schultasche, keine Bücher, keine Hefte, kein Schreibgerät. Ein bißchen sei das auch meine Schuld, scherzte er, weil ich einmal so enthusiastisch über Thoreau und dessen Forderung gesprochen hätte, man müsse vereinfachen, vereinfachen, vereinfachen und sich seiner Besitztümer entledigen.
    Wenn in der Klasse eine Klausur oder eine Prüfungsarbeit geschrieben wurde, fragte er mich, ob ich ihm zufällig einen Kugelschreiber und etwas Papier borgen könne.
    Bob, wir lernen hier schreiben. Das setzt bestimmtes Arbeitsmaterial voraus.
    Er versicherte mir, es sei schon alles in Ordnung, und gab mir den Rat, mir keine Sorgen zu machen. Von seinem Fensterplatz aus machte er mich darauf aufmerksam, daß sich auf meinem Kopf schon der erste Schnee zeige. Ich solle die Jahre genießen, die mir noch blieben.
    Nein, nein, sagte er zu den anderen. Nicht lachen.
    Aber das Gelächter war schon so laut, daß ich warten mußte, bis ich ihn wieder verstand. Er sagte, in einem Jahr würde ich auf diesen Moment zurückblicken und mich fragen, warum ich soviel Zeit und Gefühle auf das Fehlen von Stift und Papier verschwendet hätte.

    Ich mußte die Rolle des strengen Lehrers spielen. Bob, wenn du nicht mitarbeitest, fällst du womöglich durch.
    Mr. McCourt, ich kann gar nicht glauben, daß Sie mir das sagen, ausgerechnet Sie mit ihrer unglücklichen Kindheit und so, Mr. McCourt. Aber ist schon okay. Wenn Sie mich durchrasseln lassen, wiederhol ich den Kurs halt. Ich hab’s nicht so wahnsinnig eilig. Was ist schon ein Jahr mehr oder weniger? Für Sie ist das vielleicht eine große Sache, aber ich bin ja erst siebzehn. Ich hab noch jede Menge Zeit, Mr. McCourt, auch wenn Sie mich durchfallen lassen.Er wandte sich an die Klasse: ob ihm wer mit Stift und Papier aushelfen könne. Es gab zehn Angebote, aber er entschied sich für das räumlich nächste, um nicht von seinem Fensterbrett herabsteigen zu müssen. Er sagte, sehen Sie, Mr. McCourt? Sehen Sie, wie nett die Menschen sind? Solange die ihre großen Taschen mit sich rumschleppen, brauchen Sie und ich uns nie Sorgen ums Arbeitsmaterial zu machen.
    Schön und gut, Bob, aber was hilft dir das nächste Woche bei der großen Klausur über Gilgamesch ?
    Was ist denn das, Mr. McCourt?
    Steht im Weltliteraturbuch, Bob.
    Ach ja. Ich weiß schon. Das dicke Buch. Ich hab’s zu Hause, und mein Dad liest die Bibelteile und so. Mein Dad ist Rabbiner, wissen Sie. Er war so glücklich, daß Sie uns dieses Buch gegeben haben mit den Propheten und allem, und er hat gesagt, Sie müssen ein toller Lehrer sein, und er kommt am Elternabend, um mit Ihnen zu reden. Ich hab ihm gesagt, Sie sind wirklich ein toller Lehrer, nur daß Sie halt diesen Fimmel mit dem Arbeitsmaterial haben.
    Hör mir auf, Bob. Du hast das Buch doch noch nie in der Hand gehabt.
    Er riet mir abermals, mir keine Sorgen zu machen, weil sein Vater, der Rabbiner, oft über das Buch spreche und er, Bob, bestimmt noch alles über Gilgamesch und was den Herrn Lehrer sonst noch glücklich macht rauskriegen würde.

    Erneut tobte die Klasse. Sie umarmten einander, klatschten ab.
    Ich hätte auch gern getobt, aber ich mußte meine Lehrerwürde wahren.
    Durch das Kichern und Japsen und Lachen rief ich quer durch den Raum, Bob, Bob. Glücklich wäre ich, wenn du das Weltliteraturbuch selbst lesen und deinen armen Vater in Ruhe lassen würdest.
    Er sagte, er würde das Buch liebend gern von der ersten bis zur letzten Seite lesen, aber das passe nicht in seine Pläne.
    Und was sind das für Pläne, Bob?
    Ich will Farmer werden.
    Er lächelte, wedelte mit dem Papier, das Jonathan Greenberg ihm freundlicherweise gestiftet hatte, und sagte, es tue ihm leid, wenn er den Unterricht gestört hätte, und vielleicht sollten sie jetzt damit anfangen, zu schreiben, was ich ihnen am Beginn der Stunde, die ja zusehends vergehe, zu schreiben aufgegeben hätte. Er, Bob, sei jedenfalls so weit, und er schlage vor, daß die Klasse sich jetzt beruhige, damit Mr. McCourt seine Arbeit machen könne. An seine Mitschüler gewandt, sagte er, Unterrichten sei

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