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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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ein Schüler eintritt, Türen zu den besten Universitäten und Colleges des Landes auftun, und wer es nicht schafft, ist verdammt noch mal selber schuld. Die Moms und Dads sind cool, zuversichtlich, gutgelaunt und selbstsicher, wenn sie nicht besorgt, bekümmert, verzweifelt, unsicher oder mißtrauisch sind. Sie erwarten viel und geben sich mit nichts zufrieden, das nicht eindeutig als Erfolg zu werten ist. Sie erscheinen derart massenhaft, daß jeder Lehrer einen Klassenordner braucht, der den Ansturm kanalisiert. Sie wollen unbedingt wissen, wie ihr Kind im Vergleich zum Rest der Klasse abschneidet. Würde ich sagen, daß Stanley über dem Durchschnitt liegt? Sie finden nämlich, daß er immer fauler wird und den falschen Umgang hat. Sie hören so manches über den Stuyvesant Square, Gerüchte über Drogen, Sie wissen schon, und das reicht schon aus, einem den Schlaf zu rauben. Macht er seine Hausaufgaben? Sind Ihnen
irgendwelche Änderungen in seinem Verhalten oder seiner Einstellung aufgefallen?
    Stanleys Eltern stecken mitten in einem erbitterten Scheidungskrieg, kein Wunder also, daß Stanley durch den Wind ist. Die Mutter behält die klassische Sechszimmerwohnung auf der Upper West Side, während Dad in irgendeiner Bruchbude am Arsch der Bronx haust. Sie haben sich darauf geeinigt, Stanley in der Mitte zu spalten, dreieinhalb Tage in der Woche gehört er jeweils dem einen oder dem anderen. Stanley ist gut in Mathematik, aber diese Autodivision macht ihm Schwierigkeiten. Er versucht, es mit Humor zu nehmen. Er verwandelt das Dilemma in eine Art algebraische Gleichung: Wenn a gleich 3,5 und b gleich 3,5 ist, welchen Wert hat dann Stanley? Sein Mathelehrer, Mr. Winokur, gibt ihm hundert Punkte dafür, daß er auch nur diesen Ansatz gewählt hat. Meine Klassenordnerin für den Elternsprechtag ist Maureen McSherry, und sie erzählt mir, daß Stanleys kriegführende Eltern in meinem Klassenzimmer sitzen und mich sprechen wollen. Insgesamt sei wohl ein halbes Dutzend Elternpaare da, die nicht nebeneinander sitzen wollen, wenn ich über ihre kleinen Lieblinge spreche.
    Maureen gibt Nummern aus, wie man es von Ämtern kennt, und mir wird ganz flau, weil der Strom der in mein Zimmer kommenden Eltern nicht abzureißen scheint. Kaum ist man mit einem fertig, kommt der nächste. Sie haben alle Plätze besetzt: Drei hocken wie Schüler auf der hinteren Fensterbank und tuscheln miteinander, fünf oder sechs stehen an der Rückwand. Ich wollte, ich könnte Maureen bitten, sie abzuwimmeln, aber das kann man nicht machen an einer Schule wie der Stuyvesant, wo die Eltern ihre Rechte kennen und nie um Worte verlegen sind. Maureen flüstert mir zu, Achtung, da kommt Stanleys Mutter Rhonda. Die macht Sie zur Schnecke.
    Rhonda stinkt nach Nikotin. Sie setzt sich, beugt sich vor und sagt, ich dürfe kein Wort von dem glauben, was dieser Mistkerl, Stanleys Vater, mir erzählt. Sie bringe es nicht einmal über
sich, den Schuft beim Namen zu nennen, es tue ihr in der Seele weh, daß Stanley auf diesen Scheißer als Vaterfigur angewiesen sei, und überhaupt, wie macht sich Stanley denn so?
    Oh, sehr gut. Er kann schreiben und ist bei seinen Mitschülern beliebt.
    Das grenzt ja fast an ein Wunder, wenn man bedenkt, was er mit diesem Windbeutel von Vater durchmacht, vor dem nichts sicher ist, was einen Rock anhat. Ich tue mein Bestes, solange Stanley bei mir ist, aber er kann sich an diesen dreieinhalb Tagen nicht konzentrieren, weil er weiß, daß er die anderen dreieinhalb in dieser Bruchbude in der Bronx zubringen muß. Immer öfter übernachtet er jetzt schon bei Freunden. Jedenfalls erzählt er mir das, aber zufällig weiß ich, daß er eine Freundin hat, deren Eltern einfach alles durchgehen lassen, und ich hab da so den einen oder anderen Verdacht.
    Tut mir leid, aber davon weiß ich nichts. Ich bin nur sein Lehrer, und es ist unmöglich, sich jedes Halbjahr mit dem Privatleben von hundertfünfundsiebzig Schülern zu befassen.
    Rhonda sprach nicht eben leise, und die wartenden Eltern rutschten auf ihren Stühlen hin und her und verdrehten die Augen. Maureen sagte mir, ich müsse auf die Zeit achten und dürfe jedem höchstens zwei Minuten geben, auch Stanleys Vater, der natürlich auf gleiches Recht pochen würde. Er sagte, hi, ich bin Ben, Stanleys Vater. Ich hab gehört, was sie gesagt hat, die Madame Therapeutin. Zu der würde ich nicht mal meinen Hund schicken. Er lachte und schüttelte den Kopf. Aber lassen wir das. Ich hab da

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