Tag und Nacht und auch im Sommer
jetzt ein Problem mit Stanley. Nach der langen Schulausbildung und nachdem ich jahrelang für sein Studium gespart habe, will er jetzt alles hinschmeißen. Wissen Sie, was er sich in den Kopf gesetzt hat? Er will an irgendein Konservatorium in Neuengland gehen und klassische Gitarre studieren. Sagen Sie selbst, was kann man als klassischer Gitarrist schon verdienen? Ich hab ihm gesagt … aber ich will Ihre Zeit nicht über Gebühr beanspruchen, Mr. McCord.
McCourt.
Ja. Also, ich will Sie nicht aufhalten, aber ich hab ihm klipp und klar gesagt, nur über meine Leiche. Wir waren uns von Anfang an einig, daß er mal Steuerberater wird. Daran wurde nie gerüttelt. Ich meine, wofür arbeite ich denn? Ich bin selbst Steuerberater, und falls Sie mal ein kleines Problem haben, helfe ich Ihnen gerne. Nein, niemals. Keine klassische Gitarre. Ich sag ihm, studier Steuerberater, und spiel in deiner Freizeit Gitarre. Er bricht zusammen. Er heult. Er droht, ganz zu seiner Mutter zu ziehen, und das würde ich nicht mal einem Nazi wünschen. Meinen Sie, Sie könnten mal mit ihm reden? Ich weiß, daß er Ihren Unterricht mag, Rezepte spielen und was Sie hier sonst so machen.
Ich würde gern helfen, aber ich bin kein Beratungslehrer. Ich bin Englischlehrer.
Ach ja? Also, was Stanley so erzählt, machen Sie hier alles mögliche, nur kein Englisch. Nichts für ungut, aber ich weiß wirklich nicht, was Kochen mit Englisch zu tun hat. Trotzdem danke. Wie macht er sich eigentlich?
Sehr gut.
Die Glocke läutet, und Maureen, die kein bißchen schüchtern ist, verkündet, daß die Zeit um ist, daß sie aber gern die Namen und Telefonnummern von Eltern notiert, die zu einem viertelstündigen Gespräch an normalen Schultagen kommen möchten. Sie reicht ein Blatt Papier herum, das aber leer bleibt. Sie wollen hier und jetzt mit mir reden. Schließlich warten sie schon den ganzen Abend, während diese anderen Schwachköpfe endlos von ihren verkorksten Kindern labern, kein Wunder, daß die so verkorkst sind, bei den Eltern. Die Frustrierten folgen mir auf den Gang hinaus und fragen, wie macht sich denn Adam, Sergei, Juan, Naomi? Was ist denn das für eine Schule, wo man nicht mal eine Minute mit dem Lehrer reden kann, wofür zahle ich eigentlich Steuern?
Um neun an der Stechuhr meinen ein paar Lehrer, man könnte
doch noch ins Gas House um die Ecke einen trinken gehen. Wir setzen uns an einen Tisch ganz hinten und bestellen Bier. Unsere Kehlen sind von dem vielen Reden ganz ausgedörrt. Gott, was für ein Abend. Ich erzähle R’lene Dahlberg und Connie Collier und Bill Tuohy, daß in meiner ganzen Zeit an der Stuyvesant nur ein einziges Mal eine Mutter wissen wollte, ob die Schule ihrem Sohn Freude mache. Ich sagte ja. Offenbar gefalle es ihm sehr gut. Sie lächelte, stand auf, sagte danke und ging. Eine einzige in all den vielen Jahren.
Denen geht’s nur um eins, Erfolg und Geld, Geld, Geld, sagt Connie. Die setzen die höchsten Erwartungen in ihre Kinder, und wir sind die Fließbandarbeiter, die hier noch das eine, dort das andere kleine Teil einbauen, bis das fertige Produkt vom Band kommt, das dann so funktioniert, wie Eltern und Wirtschaft sich das vorstellen.
Ein Elterngrüppchen verlief sich auch ins Gas House. Eine Mutter kam zu mir herüber. Ist ja reizend, sagte sie. Bier in sich reinschütten, dafür haben Sie Zeit, aber für eine Schülermutter, die eine halbe Stunde gewartet hat, um mit Ihnen zu reden, haben Sie nicht mal eine Minute.
Ich sagte, es tue mir leid.
Sie sagte, ja, und ging an ihren Tisch zurück. Ich war so erschlagen von dem Elternabend, daß ich zuviel trank und am nächsten Morgen im Bett blieb. Warum hatte ich dieser Mutter nicht einfach gesagt, sie könne mich an meinem königlich-irischen Arsch lecken?
Bob Stein saß in meiner Klasse nie in der Reihe. Vielleicht lag es an seiner Statur, aber ich glaube, er fand Trost darin, es sich auf der geräumigen Fensterbank im hinteren Teil des Raums bequem zu machen. Sobald er sich niedergelassen hatte, lächelte er und winkte mir zu. Guten Morgen, Mr. McCourt. Ein wunderschöner Tag heute, nicht wahr?
Er trug das ganze Jahr über ein am Hals offenes weißes
Hemd, dessen Kragen über den grauen Kragen seines zweireihigen Jacketts geschlagen war. Seinen Mitschülern erzählte er, das Jackett habe früher Orson Welles gehört, und falls er dem jemals begegnen sollte, hätten sie wenigstens ein Gesprächsthema. Ohne das Jackett würde er nicht wissen, was
Weitere Kostenlose Bücher