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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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habe, hätte ich Tausende von Büchern lesen können. Ich hätte die Forty-second
Street Library durchkämmen können, die eine Seite hinauf und die andere hinunter. Wenn die Kids doch verschwinden würden! Ich bin nicht in Stimmung.
    An anderen Tagen kann ich es kaum erwarten, ins Klassenzimmer zu kommen. Ich stehe ungeduldig auf dem Flur. Ich scharre mit den Füßen. Jetzt machen Sie schon, Mr. Ritterman. Beeilen Sie sich. Beenden Sie Ihre blöde Mathestunde. Es gibt ein paar Dinge, die ich dieser Klasse sagen will.
     
    Eine junge Lehramtsanwärterin saß neben mir in der Lehrerkantine. Sie sollte im September ihre reguläre Lehrtätigkeit aufnehmen und fragte mich, ob ich ihr einen Rat geben könne.
    Finden Sie heraus, was Sie lieben, und tun Sie es. Darauf läuft es hinaus. Zugegeben, ich habe das Lehrersein nicht immer geliebt. Ich war in unbekannten Gewässern unterwegs. Man ist auf sich gestellt im Klassenzimmer, ein Mann oder eine Frau vor fünf Klassen täglich, fünf Klassen von Teenagern. Eine Energieeinheit gegen hundertfünfundsiebzig Energieeinheiten, hundertfünfundsiebzig tickende Zeitbomben, und man muß Wege finden, seine Haut zu retten. Vielleicht mögen sie einen, vielleicht lieben sie einen sogar, aber sie sind jung, und es ist Sache der Jungen, die Alten vom Planeten zu schubsen. Ich weiß, ich übertreibe, aber es hat wirklich was von einem Boxer, der in den Ring steigt, oder einem Stierkämpfer, der in die Arena hinaustritt. Man kann k. o. geschlagen oder aufgespießt werden, und das ist dann das Ende einer Lehrerlaufbahn. Aber wenn man durchhält, lernt man mit der Zeit die Tricks. Es ist alles andere als leicht, aber Sie müssen sich im Klassenzimmer wohl fühlen können. Sie müssen egoistisch sein. Im Flugzeug sagt man Ihnen, falls die Sauerstoffzufuhr ausfällt, sollen Sie Ihre eigene Maske zuerst aufsetzen, obwohl Sie instinktiv zuerst an Ihr Kind denken würden.
    Das Klassenzimmer ist ein Ort höchster Dramatik. Sie werden
nie erfahren, was Sie den Hunderten, die da kommen und gehen, angetan oder was Sie für sie getan haben. Sie sehen sie hinausgehen: träumerisch, abwesend, spöttisch, bewundernd, lächelnd, ratlos. Nach ein paar Jahren wachsen Ihnen Antennen. Sie merken es, ob Sie sie erreicht oder abgeschreckt haben. Das ist Chemie. Psychologie. Instinkt. Sie sind mit den Kindern zusammen, und solange Sie Lehrerin bleiben wollen, gibt es kein Entrinnen. Hoffen Sie nicht auf Hilfe von Menschen, die dem Klassenzimmer entflohen sind, von den Höhergestellten. Die sind immer gerade beim Mittagessen oder denken an Höheres. Sie sind mit den Kindern allein. Ah, es klingelt. Tschüs. Finden Sie heraus, was Sie lieben, und tun Sie es.
     
    Es war April, draußen schien die Sonne, und ich fragte mich, wie viele Apriltage, wie viele Sonnentage mir noch blieben. Mich beschlich das Gefühl, daß ich den High-School-Schülern von New York nichts mehr über das Schreiben oder irgendein anderes Thema zu sagen hatte. Es kam immer öfter vor, daß ich einen Satz nicht vollendete. Ich wollte hinaus in die Welt, bevor ich aus der Welt war. Wer war ich, daß ich vor anderen über das Schreiben redete, obwohl ich noch nie ein Buch geschrieben, geschweige denn veröffentlicht hatte? Was ich alles erzählt, was ich alles in Hefte gekritzelt hatte, führte zu nichts. Und wunderte das nicht auch die Schüler? Fragten sie sich nicht, wieso redet der so viel über das Schreiben, wenn er es noch nie selber gemacht hat?
    Es ist an der Zeit, mich in den Ruhestand versetzen zu lassen, von meiner nicht eben fürstlichen Lehrerpension zu leben. Ich werde endlich die Bücher lesen, zu denen ich in den letzten dreißig Jahren nicht gekommen bin. Ich werde stundenlang in der Forty-second Street Library sitzen, an dem Ort, der mir in New York der liebste ist, ich werde durch die Straßen laufen, im Lion’s Head ein Bier trinken, mit Deacy, Duggan und Hamill reden, Gitarre spielen lernen und hundert Songs dazu, meine
Tochter Maggie im Village zum Essen ausführen, in meine Notizbücher kritzeln. Vielleicht wird ja was daraus.
    Ich komm schon klar.
     
    Guy Lind war im zweiten Jahr, als er an einem matschigen Wintertag einen Regenschirm mit in die Schule brachte. Im ersten Stock traf er einen Freund, der auch einen Regenschirm dabei hatte. Sie begannen, mit den Regenschirmen zu fechten, bis der Freund ausrutschte und die Spitze seines Regenschirms sich in Guys Auge bohrte, wodurch er halbseitig gelähmt wurde.
    Er

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