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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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aha, so? Er fragt sie, ob sie am Samstagabend schon was vorhat. Sie hat was vor. Angeblich ist sie verabredet, aber er vermutet, daß sie schwindelt. Ein Mädchen kann einfach nicht zugeben, daß es am Samstagabend nichts vorhat. Das wäre unamerikanisch. Sie muß ihm was vorspielen. Gott, was würden die Leute sagen? Er schreibt im Kopf weiter und fragt nach dem übernächsten Samstagabend, nach allen weiteren Samstagabenden bis ins Unendliche. Er würde sich mit allem zufriedengeben, der arme Tropf, Hauptsache, er kann sie noch sehen, bevor er die Rente einreichen muß. Sie spielt ihr Spielchen, sagt ihm, er soll nächste Woche noch mal anrufen, dann sehen wir weiter. Dann sehen wir weiter. Am Samstagabend sitzt sie zu Hause und sieht fern mit ihrer Mutter und Tante Edna, deren Mundwerk nie stillsteht. Er sitzt am Samstagabend zu Hause, mit seiner Mutter und seinem Vater, die den Mund nie aufkriegen. Er geht ins Bett und träumt, daß sie nächste Woche, mein Gott, nächste Woche, ja sagen könnte, und für den Fall hat er schon alles geplant, das schnuckelige italienische Lokal an der Columbus Avenue mit den rot-weiß karierten Tischdecken und den Chiantiflaschen, in denen diese tropfenden weißen Kerzen stecken.
    Träumen, wünschen, planen: Das alles ist Schreiben, aber der Unterschied zwischen euch und dem Mann auf der Straße ist, daß ihr es euch anseht, Freunde, es im Kopf sichtet und ordnet,
die Wichtigkeit des Unwichtigen erkennt, es zu Papier bringt. Vielleicht seid ihr bis über beide Ohren verliebt oder zu Tode betrübt, aber ihr beobachtet messerscharf. Ihr selbst seid euer Stoff. Ihr seid Schriftsteller, und eins steht fest: Egal, was am Samstagabend oder an irgendeinem anderen Abend passiert, ihr werdet euch nie wieder langweilen. Niemals. Nichts Menschliches ist euch fremd. Spart euch den Applaus, und gebt eure Hausarbeiten nach vorn.
    Mr. McCourt, Sie sind ein Glückspilz. Sie hatten diese unglückliche Kindheit, also haben Sie was, worüber Sie schreiben können. Aber wir, worüber sollen wir schreiben? Wir kommen doch bloß auf die Welt, gehen in die Schule, fahren in Urlaub, gehen aufs College, verlieben uns oder so, machen unseren Abschluß und fangen irgendeinen Beruf an, heiraten, bekommen die zwei Komma drei Kinder, von denen Sie ständig reden, schikken die Kinder auf die Schule, lassen uns scheiden wie fünfzig Prozent der Bevölkerung, setzen Fett an, kriegen den ersten Herzinfarkt, gehen in Pension, sterben.
    Jonathan, das ist das trostloseste Szenario des amerikanischen Lebens, das ich je in einem High-School-Klassenzimmer gehört habe. Trotzdem hast du die Zutaten für den großen amerikanischen Roman aufgezählt. Du hast gerade die Romane von Theodore Dreiser, Sinclair Lewis und Scott Fitzgerald zusammengefaßt.
    Sie sagten, Sie machen Witze.
    Ich sagte, ihr kennt die Zutaten des Lebens von McCourt. Und ihr habt eure eigenen Zutaten, das, was ihr verwenden werdet, wenn ihr über euer Leben schreibt. Notiert eure Zutaten in eurem Heft. Hütet sie. Das ist wichtig. Jüdisch. Mittelstand. New York Times . Klassische Musik im Radio. Harvard vor der Tür. Chinesisch. Koreanisch. Italienisch. Spanisch. Eine fremdsprachige Zeitung auf dem Küchentisch. Ethnische Musik aus dem Radio. Eltern, die von der Reise in die alte Heimat träumen. Die Großmutter, die still in einer Ecke des Wohnzimmers
sitzt und an Bilder von den Friedhöfen in Queens denkt. Tausende von Grabsteinen und Kreuzen. Sie bettelt: Bitte begrabt mich nicht hier. Bringt mich nach China. Bitte. Also, setzt euch zu eurer Großmutter. Laßt sie ihre Geschichte erzählen. Alle Omas und Opas haben Geschichten, und wenn ihr sie sterben laßt, ohne ihre Geschichten gehört zu haben, seid ihr kriminell. Zur Strafe bekommt ihr Lokalverbot in der Schulkantine.
    Ha, ha.
    Eltern und Großeltern reagieren natürlich mißtrauisch auf dieses plötzliche Interesse an ihrem Leben. Warum stellst du mir so viele Fragen? Mein Leben geht keinen was an, und was ich getan habe, habe ich getan.
    Was hast du denn getan?
    Geht keinen was an. Ist es wieder dieser Lehrer, der seine Nase überall reinsteckt?
    Nein, Oma. Ich hab mir nur gedacht, du möchtest mir von deinem Leben erzählen, damit ich es meinen Kindern erzählen kann und die es an ihre Kinder weitergeben können und du nicht vergessen wirst.
    Sag deinem Lehrer, er soll sich um seinen eigenen Kram kümmern. Diese Amerikaner sind alle gleich, andauernd stellen sie Fragen. In unserer Familie

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