Tag und Nacht und auch im Sommer
Geschichten, die ich kenne, sind Geschichten von der Straße. Was so in meiner Straße passiert.
Na gut, dann schreib etwas über deine Straße.
Geht nicht. Gossensprache und so.
Clarence, nenn mir ein Wort, das ich noch nie gehört habe. Ein einziges Wort, Clarence.
Aber ich hab gedacht, es muß anständiges Englisch sein.
Es kann jedes beliebige Englisch sein, du mußt es nur zu Papier bringen.
Am nächsten Freitag war er bereit. Andere standen zum Vorlesen auf, er wollte lieber sitzen bleiben. Er erinnerte mich noch einmal daran, daß sein Text Gossensprache enthalte. Macht Ihnen das wirklich nichts aus?
Ich sagte, nichts Menschliches ist mir fremd, und dann noch, ich weiß nicht mehr, von welchem russischen Autor das Zitat stammt.
Er sagte, oh, und begann mit seinem Bericht darüber, wie die Mütter in seiner Straße mit einem Drogenhändler verfuhren. Sie forderten ihn auf, aus ihrer Straße zu verschwinden, aber er sagte, von irgendwas müsse er schließlich leben und sie sollten sich zum Teufel scheren. Eines Abends packten ihn sechs Mütter und schleppten ihn auf ein leeres Grundstück. Was sie dort mit ihm machten, konnte Clarence nicht sagen, aber es habe Gerüchte gegeben. Die Gerüchte könne er nicht wiederholen, selbst wenn man es ihm erlaubte, die Sprache sei für Stuyvesant-Schüler einfach zu brutal. Er könne nur berichten, daß eine der Mütter die Ambulanz rief, sonst wäre der Typ auf dem leeren Grundstück gestorben. Natürlich seien die Cops gekommen, aber niemand habe irgend etwas gewußt, und die Cops hätten schon verstanden. So gehe es in seiner Straße zu.
Stille. Wow. Ein Beifallssturm. Clarence lehnte sich zurück und schaute zu David hinüber, der am heftigsten klatschte. David sagte nicht Ach, Mist. Er begriff, daß das Clarence’ Stunde war.
Sie wollten wissen, wer der komische Typ draußen vor der Klassenzimmertür sei. Er war totenbleich, ausgemergelt und stoned. Er hätte mich mit Frank anreden können, sagte aber, guten Tag, Mr. McCourt, um dem Lehrer den nötigen Respekt zu erweisen.
Ich trat auf den Gang hinaus, um eine unserer gelegentlichen kurzen Konferenzen abzuhalten, und er erklärte mir, er sei gerade in der Gegend gewesen, habe an mich gedacht und sich gefragt, wie es mir gehe. Außerdem sei er gerade ein bißchen klamm, und ob ich wohl etwas Kleingeld übrig hätte. Er wisse vergangene Freundlichkeiten sehr zu schätzen, und die Wahrscheinlichkeit einer Rückzahlung sei zwar gering, er werde sich meiner aber stets mit den wärmsten Gefühlen erinnern. Es sei ihm eine große Freude, mich hier zu besuchen und zu sehen, daß die Jugend Amerikas, diese prachtvollen Kinder, der Obhut eines so fähigen und großzügigen Mannes anvertraut sei. Er bedankte sich und meinte, möglicherweise würden wir uns bald einmal in Montero’s Bar in Brooklyn treffen, ein paar Straßen von seinem Apartment. Ich wußte natürlich, daß die zehn Dollar, die ich ihm zusteckte, postwendend in den Besitz eines Dealers auf dem Stuyvesant Square übergehen würden.
Das war Huncke, sagte ich meinen Schülern. Schlagt irgendeine Geschichte der jüngeren amerikanischen Literatur oder der Beat Generation auf, und ihr werdet im Register den Eintrag Huncke, Herbert finden.
Alkohol ist nicht sein Ding, aber er würde sich jederzeit im Montero einen Drink von euch spendieren lassen. Seine Stimme ist tief, sanft und melodisch. Er vergißt nie seine guten Manieren, und man würde kaum auf den Gedanken kommen, ihn Huncke den Junkie zu nennen. Er achtet die Gesetze, aber er befolgt sie nicht.
Er hat wegen Taschendiebstahl, Raub, Drogenbesitz und Drogenhandel gesessen. Er ist Stricher, Schwindler, Betrüger, Charmeur und Schriftsteller. Er hat den Ausdruck Beat Generation
geprägt, heißt es. Er nutzt Menschen aus, bis sie mit ihrer Geduld und ihrem Geld am Ende sind und ihm sagen, es reicht, Huncke. Raus hier, aber ein bißchen plötzlich! Er versteht das und trägt einem nichts nach. Ihm ist alles einerlei. Ich weiß, daß er mich ausnutzt, aber er hat jeden in der Beat-Bewegung gekannt, und ich höre ihm gern zu, wenn er über Burroughs, Corso, Kerouac und Allen Ginsberg redet. R’lene Dahlberg hat mir erzählt, daß Ginsberg ihn einmal mit Franz von Assisi verglichen hat. Ja, sicher, er ist ein Krimineller, ein Gesetzloser, aber er klaut nur, um seine Drogenabhängigkeit zu finanzieren, und zieht keinen Gewinn aus seinen Aktivitäten. Außerdem stiehlt er mit Bedacht. Er würde nie
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