Tag und Nacht und auch im Sommer
euch ehrlich die Frage, hab ich etwas daraus gelernt, daß wir Rezepte als Lyrik gelesen, »Elsi, die Brave« wie ein Gedicht von T.S. Eliot besprochen, uns in »Walzer mit meinem Vater« vertieft haben, daß wir uns James’ und Daniels persönliche Berichte von ihrem Abendessen angehört, auf dem Stuyvesant Square geschlemmt, Mimi Sheraton gelesen haben? Ich sage euch, wenn ihr aus alledem nichts gelernt habt, dann habt ihr entweder Michaels ergreifendes Violinspiel und Pams epische Ode an eine Ente verschlafen, oder, und das ist durchaus möglich, Freunde, ich bin ein lausiger Lehrer.
Tosender Beifall. Ja, genau, Sie sind ein lausiger Lehrer. Und
wir lachen alle, weil es teilweise stimmt und weil sie es sagen dürfen und weil ich den Spaß verstehe.
Die strebsamen Schüler geben sich damit nicht zufrieden. Sie wenden ein, in anderen Klassen sagt einem der Lehrer, was man alles wissen muß. Der Lehrer unterrichtet es, und der Schüler lernt es. Dann hält der Lehrer eine Prüfung ab, und man bekommt die Note, die man verdient.
Die strebsamen Schüler sagen, es befriedigt einen, im voraus zu wissen, was man wissen sollte, damit man sich anstrengen kann, dieses Wissen zu erwerben. In dieser Klasse weiß man nie, was an Wissen von einem erwartet wird, also wie kann man dann lernen oder sich gar selber bewerten? In dieser Klasse weiß man nie, was einem am nächsten Tag blüht. Die große Frage am Schuljahresende lautet, wie kommt der Lehrer zu seinen Noten?
Ich sage euch, wie ich zu meinen Noten komme. Erstens, wie war es um eure Anwesenheit bestellt? Auch wenn ihr nur still dagesessen und über die Diskussionen und die Lesungen nachgedacht habt, habt ihr bestimmt etwas gelernt. Zweitens, habt ihr euch beteiligt? Habt ihr euch am Freitag hier hingestellt und etwas vorgelesen? Irgend etwas. Geschichten, Aufsätze, Gedichte, Theaterstücke. Drittens, habt ihr euch zu den Arbeiten eurer Klassenkameraden geäußert? Viertens, und das liegt ganz bei euch, könnt ihr über diese Erfahrung nachdenken und euch fragen, was ihr gelernt habt? Fünftens, habt ihr nur dagesessen und vor euch hin geträumt? Wenn ja, dann gebt euch dafür selbst eine Note.
An dieser Stelle wird der Lehrer ernst und stellt die große Frage: Was ist Lernen überhaupt? Was machen wir an dieser Schule? Ihr könnt sagen, ihr wollt euren Abschluß machen, damit ihr aufs College gehen und euch auf eine Karriere vorbereiten könnt. Aber, liebe Mitschüler, es ist mehr als das. Ich mußte mich fragen, was zum Geier ich in einem Klassenzimmer mache. Ich habe für mich selbst eine Gleichung aufgestellt. Auf
die linke Seite der Tafel schreibe ich ein großes F, auf die rechte Seite ebenfalls ein großes F. Ich zeichne einen Pfeil von links nach rechts, von der FURCHT zur FREIHEIT.
Ich glaube nicht, daß irgend jemand vollkommene Freiheit erlangt, aber was ich mit euch zusammen versuche, ist, die Furcht in die Ecke zu treiben.
17
D er Flügelschlag der Zeit braust an dein Ohr, und der himmlische Jagdhund ist dir auf den Fersen. Du wirst älter und bist doch immer noch der faselnde, scheinheilige Mick, der die Kids zum Schreiben ermuntert und anstachelt, obwohl er weiß, daß sein eigener Traum vom Schreiben verblaßt. Aber sei getrost: Eines Tages wird einer deiner begabten Schüler den National Book Award oder den Pulitzerpreis bekommen, dich zur Verleihung einladen und in einer brillanten Dankesrede kundtun, daß er oder sie alles dir verdankt. Man wird dich auffordern, dich zu erheben. Du wirst die Huldigung der Menge entgegennehmen. Das wird dein Augenblick in der Sonne sein, der Lohn für Tausende gehaltener Unterrichtsstunden, Millionen gelesener Wörter. Dein Preisträger umarmt dich, und du verschwindest wieder in den Straßen von New York, der kleine alte Mr. Chips, der sich die Treppe zu seiner Mietwohnung hinaufschleppt, wo er einen Kanten Brot im Kasten hat, einen Krug Wasser im Kühlschrank und eine Glühbirne mit bescheidener Wattzahl über seinem zölibatären Bett.
Das große amerikanische Drama ist der Zusammenprall von Jugend und mittlerem Alter. Meine Hormone verlangen nach einer ruhigen Waldlichtung, ihre schreien, pulsieren, fordern.
Heute wollen sie nicht von Lehrern oder Eltern drangsaliert werden.
So wenig, wie ich von ihnen drangsaliert werden möchte. Ich will sie nicht sehen und nicht hören. Ich habe meine besten Jahre in der Gesellschaft quäkender Halbwüchsiger vergeudet. In der Zeit, die ich in Klassenzimmern zugebracht
Weitere Kostenlose Bücher