Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
Vom Netzwerk:
welche Hand, allen unbekannt, mich gegrüßt und in mir das große Freudenfeuer angezündet hatte, deren Strahlenglanz nun allen sichtbar war, und diese Empfindung gab meinem Glücke auch noch den Zauber geheimer Zärtlichkeiten.
    Man wartete nur noch auf Frau von T., und sie kam in diesem Augenblick. Es war die banalste Person, die ich je gekannt habe, sie war wohl gut gewachsen, trotzdem außerordentlich widerlich. Aber jetzt war ich zu glücklich, ich mußte jedem Menschen seine Häßlichkeit, seine Fehler verzeihen, und ich wandte mich zu ihr mit einem etwas künstlichen Lächeln.
    »Vor einer Stunde waren Sie nicht so liebenswürdig gegen mich«, sagte sie.
    »Vor einer Stunde?« fragte ich erstaunt, »vor einer Stunde habe ich Sie doch gar nicht gesehen!«
    »Ist’s möglich? Haben Sie mich nicht wiedererkannt? Freilich, ich war weit genug. Ich ging den See entlang, Sie kamen stolz im Wagen an mir vorbei, ich habe Sie mit der Hand gegrüßt und hatte nicht wenig Lust, mit Ihnen zu fahren, um mich nicht zu verspäten.«
    »Ach, Sie waren es?« rief ich einigemal aus, und verzweifelt fügte ich wiederholt hinzu: »Ich bitte Sie um Verzeihung, ich bitte Sie sehr.«
    »Was macht er doch für ein unglückliches Gesicht! Mein Kompliment, Charlotte«, sagte die Hausfrau. »Aber trösten Sie sich, denn Sie sind wenigstens jetzt bei ihr.«
    Ich war niedergeschmettert, mein ganzes Glück war dahin.
    Nun gut. Das Fürchterlichste ist, daß das alles nicht spurlos vorüberging. Das Liebe atmende Bild der Frau, die mich nicht liebte, änderte, ungeachtet meiner Einsicht in meinen Irrtum, auf lange Zeit hinaus meine Einstellung zu ihr. Ich versuchte eine Wiederannäherung, ich vergaß weniger schnell. Oft suchte ich mich in meinem Kummer mit der Phantasie zu trösten, ihre Hände seien es in jener Minute gewesen – ich schloß die Augen, um sie wiederzusehen, die kleinen Hände, die mich gegrüßt, die meine Augen getrocknet hatten und meine Stirn so gut gekühlt –, ihre kleinen Hände in den Handschuhen, die sie mir am Seeufer wie zarte Friedenszeichen entgegengestreckt hat, als Symbole der Liebe und der Versöhnung, während ihre traurig fragenden Augen mich zu bitten schienen, ich möchte sie mit mir nehmen.
    So wie ein blutiger Himmel den Vorübergehenden warnt, hier sei ein Brand, so gibt es entflammte Blicke, die Leidenschaften verraten, statt bloß deren Widerschein zu geben. Es sind Flammen im Spiegel. Aber dann gibt es auch neutrale, lustige Menschen mit tiefen, düsteren Augen, hinter denen ein Kummer steht, ganz als sei ein Filter ausgespannt zwischen Augen und Seele, und aller lebendige Gehalt der Seele bliebe, sozusagen durchgesiebt aus dem Inneren, in den Augen.
    Von jetzt an wird aber ihre ausgetrocknete Seele bloß angeheizt werden von der Glut des Egoismus (und diese sympathetische Hitze des Egoismus kann ebenso anziehend wirken wie ein echter Leidenschaftsbrand abschreckend), und von da an wird die Seele nichts mehr sein als das künstliche Gehäuse von Intrigen. Sind aber diese Augen ohne Unterlaß von Liebe entflammt und von schmachtender Wollust betaut, umglänzt, umwogt, unauslöschlich überflutet – dann werden sie das Universum erschüttern durch ihre tragische Flammengewalt. Zwillingssphären von heute an, ohne Fesseln der Seele, Liebessphären, brennende Satelliten einer auf ewig erkalteten Welt – so werden sie bis zum Tode einen unendlich trügerischen Schimmer ausstrahlen, falsche Propheten, meineidig auch darin, daß sie eine Liebe versprechen, die das Herz nie halten wird.
XIII
Der Fremde
    Dominik saß beim erloschenen Feuer und erwartete seine Gäste. Er lud jeden Abend einen großen Herrn zum Abendessen bei sich ein mit einigen geistvollen Leuten, und da er aus gutem Hause war, reich und bezaubernd, ließ man ihn selten allein. Noch waren die Leuchter nicht entzündet, und traurig versickerte das Tageslicht im Raum. Plötzlich hörte er, fern und doch vertraut, eine Stimme sprechen: »Dominik.« Es brauchte nichts als dieses Wort, gehaucht von so nah und von so fern, und schon fühlte er Eisesfrost durch Furcht. Nie hatte er diese Stimme gehört und erkannte sie doch sofort, sein Gewissen erkannte sie wieder als die Stimme seines Opfers, eines edlen, getöteten Opfers. Er suchte, er forschte nach einem vergangenen Unrecht, aber er erinnerte sich nicht. Und doch machte ihm diese Betonung ein altes Verbrechen zum Vorwurf, das er unbewußt begangen haben mußte, für das er aber die

Weitere Kostenlose Bücher