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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Bett, als ich wieder einschlief. Aber im Verlaufe einer schwer abschätzbaren Frist erwachte ich nach und nach, oder besser, ich erwachte allmählich in dem Weltraum der Träume, anfangs ebenso verwirrt, wie man’s beim Erwachen in der Erdenwelt ist, aber nach und nach wurde alles klarer. Ich lag am Strande von Trouville, und zu gleicher Zeit war es eine Hängematte in einem unbekannten Garten. Mit sanfter Festigkeit richtete eine Frau ihren Blick auf mich. Es war Frau Dorothy B. Ich war ebensowenig davon überrascht, als ich es am Morgen bin beim Anblick meines Zimmers. Aber ich war auch nicht überrascht von dem überirdischen Zauber, den meine Gefährtin auf mich ausstrahlte, und ebensowenig von den Entzückungen zugleich körperlicher und seelischer Anbetung, die ich ihrer Gegenwart dankte. Wir betrachteten uns wie ein Herz und eine Seele, ein wunderbares Glück, ein wunderbarer Ruhm schlössen ihren Ring um uns, sie teilte alles mit mir, ich dankte ihr von tiefstem Herzen. Dann aber sagte sie mir: »Es ist doch Wahnsinn von dir, mir zu danken; hättest nicht auch du dasselbe für mich getan?«
    Und dieses Gefühl (übrigens unerschütterliche Gewißheit), auch ich hätte das gleiche für sie getan, steigerte als das offenkundige Symbol einer unsagbar engen Verbindung meine Freude bis zum Wahnsinn. Sie machte mit dem Finger ein geheimnisvolles Zeichen und lächelte. Und als sei ich zu gleicher Zeit in mir und in ihr, so war mir bewußt, daß es heißen sollte: »Alle deine Feinde, dein Unglück, dein Versagen und Verzichten, deine Schwächen alle – ist alles vorbei?« Ohne ein Wort verstand sie meine Entgegnung, sie sei es gewesen, die mühelos alles siegreich überwunden hätte, alles Leid hätte sie vernichtet und mit magisch wollüstigem Zauber meine böse Zeit gelöst. Sie näherte sich mir, liebkoste mit ihren Händen meinen Hals, streifte sanft die Haare meines Bartes fort, dann sagte sie: »Nun wollen wir zu den anderen, wir wollen ins Leben zurück.« Eine übermenschliche Freude erfüllte mich, ich fühlte die Kraft in mir, dieses Irrlichterglück in die Wirklichkeit zu übertragen. Sie wollte mir eine Blume schenken, zwischen ihren Brüsten zog sie eine Rose hervor, noch geschlossen, gelb, betaut, und sie heftete sie an mein Knopfloch. In diesem Augenblick ward mein Glück durch eine neue Wollust vermehrt. Es war die Rose, die, an meinem Knopfloch befestigt, ihren Liebesduft ausatmete bis zu mir. Ich sah, wie meine Freude Dorothy mit einer mir unbegreiflichen Erregung und Unruhe erfüllte. Genau in dem Augenblick, da ihre Augen (durch mein mysteriöses Doppelbewußtsein war ich dessen gewiß) die leichte Anspannung erfuhren, die um eine Sekunde den ersten Tränen vorausgeht, da waren es meine Augen, die sich mit Tränen, ihren Tränen füllten, wenn ich so sagen darf. Sie näherte sich mir, warf ihren Kopf zurück, legte ihr Haupt an meine Wange, so daß ich die geheimnisvolle Grazie, die reizvollste Lebhaftigkeit an ihr bewundern konnte, und nun züngelte es aus ihrem frischen, lächelnden Munde, und ihre Zunge pflückte meine Tränen alle am Rande meiner Augen auf. Dann schluckte sie sie mit einem kurzen Laut ihrer Lippen: das empfand ich als eine unbekannte Art von Küssen, tiefer und heimlicher aufreizend, als wenn sie mich berührt hätte.
    Ich erwachte mit einem Schlage, erkenne mein Zimmer wieder, und ebenso wie der Donner unmittelbar dem Blitze folgt in einem über uns stehenden Gewitter, vereinte sich ein schwindelndes Gefühl von Seligkeit mit dem gleichzeitigen (nicht etwa vorangegangenen) niederschmetternden Bewußtsein, alles Sein sei Schein und alles unmöglich.
    Aber trotz aller Vernunftsgründe war nun Dorothy B. nicht mehr die Frau, die sie am letzten Abend noch für mich gewesen war. Die flüchtigen Beziehungen zwischen mir und ihr hatten eine schon verblassende Spur in meiner Erinnerung hinterlassen, wie eine gewaltige Flut hinter sich beim Zurückweichen unbestimmte Furchen zieht. Ich sehnte mich, obgleich im voraus entzaubert, danach, sie wiederzusehen, ich hatte den instinktiven Wunsch und zugleich den klugen Widerstand dagegen, ihr zu schreiben. Wurde ihr Name im Gespräch genannt, erzitterte ich, obwohl er nur das verschwimmende Bild dieser letzten Nachterscheinung mir neu ins Bewußtsein rief. Sie war mir gleichgültiger als jede banale Frau und zog mich mächtiger an als die ersehnteste Geliebte, das berauschendste Geschick und Abenteuer. Ich hätte keinen Schritt getan, um

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