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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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sie zu sehen, und für das andere »SIE« hätte ich mein Leben gegeben. Jede Stunde radiert etwas von dieser Traumerinnerung fort, die in dieser Erzählung schon stark verändert ist. Immer unklarer sehe ich sie vor mir, als wollte ich ein Buch am Tische lesen, wenn der Tag sinkt, wenn es dämmert und die Nacht kommt. Um noch etwas entziffern zu können, bin ich gezwungen, meine Gedanken an sie für ein paar Augenblicke zu unterbrechen, so wie man die Augen schließt, um noch in dem Buch, das sich tiefer mit Schatten füllt, ein paar Buchstaben wahrnehmen zu können.
    So verblaßt es aber ist, so hinterläßt es doch noch Unruhe genug in mir, eine Schaumspur oder die Wonne ihres Duftes. Aber auch dies Unruhigsein wird schwinden, und ich werde Frau B. ohne Herzklopfen sehen können. Ihr von diesen Erlebnissen zu erzählen, an denen sie im Grunde nicht beteiligt ist, hätte keinen Sinn.
    Ach, die Liebe ist über mich hinweggegangen wie ein Traum, mit derselben geheimen, unerklärten Verwandlungskraft. Ihr aber, die ihr meine sehr Geliebte kennt, ihr, die ihr nicht hinter die Mauern meiner Träume dringen könnt, ihr könnt mich nicht verstehen. Versuchet nicht, mich zu trösten.
XV
Bilder in der Art von Erinnerungen
    Wir haben bestimmte Erinnerungen nach Art der holländischen Malerei alten Andenkens, es sind Genrebilder, deren Personen oft niederen Ständen angehören. Gefaßt sind sie in einem ganz alltäglichen Augenblick ihres Daseins ohne besondere Ereignisse, häufig sind sie überhaupt nicht in Ereignisse verstrickt, und auch der Rahmen hat nichts Außerordentliches, nichts Großartiges an sich.
    Das Naturell der Charaktere und die Einfachheit der Szene machen ihren ganzen Reiz aus, der weite Abstand gießt zwischen sie und uns ein ruhiges Licht, das ihnen einen Schimmer von Schönheit leiht.
    Mein Leben beim Regimente ist voll von Szenen dieser Art; ich habe sie einfach gelebt, ohne große Freude, ohne großen Kummer, und ich erinnere mich ihrer mit sehr viel Milde. Der Charakter der Umgebung war sympathisch, dazu kam die Ungebrochenheit einiger Kameraden, die vom Lande stammten, deren Körper schöner, beweglicher, deren Geist ursprünglicher, deren Herz wärmer und deren Sinnesart natürlicher geblieben waren als bei andern jungen Leuten, mit denen ich vor dieser Zeit und nachher verkehrt habe. Dazu die Ruhe eines Daseins, dessen Obliegenheiten besser geregelt sind, und wo die Phantasie weniger Nahrung erhält als in einer anderen Lebenslage: hier ist die Herzensfröhlichkeit ein um so treuerer Begleiter, als uns dauernd die Zeit fehlt, sie dadurch zu vertreiben, daß man hinter ihr her hetzt – das alles trägt dazu bei, aus dieser Epoche meines Lebens eine (man muß es freilich zugeben) von Lücken unterbrochene Folge von kleinen Bildern zu machen, die voll glückhafter Treue sind, voll eines Zaubers, um den die Zeit den Mantel ihrer sanften Traurigkeit und ihrer Poesie gebreitet hat.
XVI
Meereswind in der Ebene
»Ich werde dir jungen Mohn bringen
mit purpurnen Blumenblättern.«
     
Theokrit: »Der Cyklop«
     
    Im Garten, in einem kleinen Gehölz, mitten in der Ebene setzt der Wind seinen tollsten, unnützen Eifer darein, die Sonnenflecke auseinanderzutreiben, sie zu verfolgen, indem er wütend die Zweige des Buschwerks schüttelt, unter denen sie sich verborgen haben, bis zu dem funkelnden Dickicht, unter dem sie jetzt zittern und flimmern in unaufhörlicher Bewegung. Die Bäume, die trocknende Wäsche, der Schweif des Pfauen, der sein Rad schlägt, alles zeichnet sich in der durchsichtig klaren Luft mit außerordentlich scharfen, blauen Schatten ab, die mit jedem Windstoße zu huschen beginnen, ohne den Boden zu verlassen, gleich einem Drachen, der ungeschickt in die Höhe geworfen wird. Dieses Hin und Her von Licht und Wind gibt dem Winkel hier in der Champagne eine Ähnlichkeit mit der Landschaft am Meeresstrande. Hier steigt ein Pfad, glühend im Licht und überbraust vom Winde, steil in die Höhe gegen einen nackten Himmel: stehen wir oben, ist es nicht das Meer, was wir weiß schimmernd in Schaumkronen und Sonnenschein unter uns erblicken? Wie an jedem Morgen, kamen Sie auch an diesem, die Hände voll von Blumen und zarten Federn, die dem Gefieder einer großen Holztaube, einer Schwalbe, eines Nußhähers beim Fluge über die Allee entfallen waren. Die Federn zittern noch an meinem Hut, der Mohn entblättert sich an meinem Knopfloch – wir wollen schnell zurück.
    Das Haus kracht unter dem

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