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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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sein wird, wie uns jetzt alle früheren sind, während SIE … Wir werden einmal ihren Namen hören ohne wollüstigen Schmerz, ihre Schriftzüge erblicken ohne Zittern, werden unsern Weg nicht ändern, um ihr zu begegnen auf der Straße, wir werden sie treffen ohne Erregung und besitzen ohne Überschwang. Weinen wird uns dies Vorauswissen machen, das allzusichere – trotz des absurden, starken Vorgefühls, wir würden sie ewig lieben. Noch einmal will uns die Liebe aufgehen, wie ein gottvoller Morgen, in grenzenlosem Geheimnis und dennoch traurig, und diese Liebe wird vor unserm Schmerz etwas von ihrem großen Horizont entfalten, von den fremden Weiten, von den tiefen Fernen, ein wenig von seiner zauberhaften Hoffnungslosigkeit …!
    Süß ist es für den Kummervollen, sich in die Wärme seines Bettes zu flüchten, hier mag er sich, wenn er jede Anstrengung und allen Widerstand aufgegeben hat, ganz sich selbst überlassen, wie ein Zweig dem Winde im Herbste. Aber es gibt ein besseres Bett, von göttlichen Düften umhaucht. Unsere süße, unsere tiefe, unsere untrügliche Freundschaft ist es. Bin ich vor Kummer bis ans Herz vereist, dann bette ich fröstelnd hier mein Herz. Selbst meine Gedanken wickle ich in die Decke unserer warmen Zärtlichkeit, von der Außenwelt will ich nichts mehr sehen, entwaffnet will ich mich nicht mehr wehren, aber durch das Wunder unserer Zärtlichkeit bin ich neugestärkt, unbesiegbar fast, ich weine in meinem Kummer vor Freude, eine Stätte des Friedens und einen guten Schutz gefunden zu haben.
X
Flüchtige Wirksamkeit von Kummer
    Laßt uns dankbar sein gegen alle, die uns Glück geben, denn es sind Zaubergärtner, und unter ihrer Hand blühen unsere Seelen auf. Dankbarer noch laßt uns sein gegen bösartige oder auch nur gleichgültige Frauen, gegen grausame Freunde, die uns Kummer bereitet haben. Sie haben unser Herz verwüstet, das noch jetzt mit formlosen Trümmern bedeckt ist, sie haben die Stämme entwurzelt und die feinsten Triebe zerstört wie ein wütender Wirbelwind, aber er hat doch einige gute Samenkörner ausgestreut für eine künftig ungewisse Ernte.
    Sie haben all unser kleines Glück zertreten, worunter unser großer Jammer verborgen lag, sie haben aus unserm Herzen einen nackten, melancholischen Gefängnishof gemacht, aber sie haben uns endlich die Möglichkeit gegeben, es ruhig zu betrachten und unser Urteil zu fällen. Einen ähnlichen Dienst erweisen uns die ernsten Stücke. Deshalb muß man sie höher schätzen als die fröhlichen, denn diese täuschen unsern Hunger bloß, statt ihn zu stillen: das Brot, dessen wir bedürfen, ist bitter. Im Glück erscheinen uns die Schicksale von unsresgleichen nicht in ihren echten Farben, sondern so, wie das Interesse sie maskiert oder die Begierde sie verwandelt. Aber in der Vereinsamung, wie sie das Unglück mit sich bringt im realen Leben – und in der schmerzvollen Schönheit, wie auf der Bühne –, da sprechen die Geschicke der andern Menschen und besonders unser eigenes Geschick zu unserer aufhorchenden Seele das nie ganz ausgeschöpfte Wort: Wahrheit, Pflicht. Das ernste Werk eines echten Künstlers spricht mit dem Tonfall zu uns, den nur der kennt, der durch Leiden gegangen ist – und damit zwingt er jeden, der Leiden kennt, sich von allem andern fortzuwenden und ihn allein anzuhören.
    Ach, was das echte Gefühl uns gebracht hat, dieser Mann der spielerischen Laune zaubert es zurück, und mag die Trauer immerhin überlegen sein, sie ist nicht von längerer Dauer als die Tugend. Heute morgen haben wir das Trauerspiel vergessen, das uns noch gestern bis an die Wolken erhoben hat, bis zu einer Höhe, von der wir unser Leben in seiner Totalität, in seiner Echtheit erkannten mit klarsehendem, mit aufrichtigem Mitgefühl. Es mag ein Jahr dauern, und wir haben uns auch über den Verrat einer Frau getröstet, über den Tod eines Freundes. Inmitten dieser Traumtrümmer, inmitten dieses Haufens von geschändetem Glück hat der Wind sein gutes Korn gesät unter einer Flut von Tränen, aber die werden viel zu schnell trocknen, als daß das Korn keimen könnte.
XI
Lob der schlechten Musik
    Werft auf die schlechte Musik euren Fluch, aber nicht eure Verachtung! Je mehr man die schlechte Musik spielt oder singt (und leidenschaftlicher als die gute), desto mehr füllt sie sich allmählich an mit den Träumen, den Tränen der Menschen. Deshalb soll sie euch verehrungswürdig sein. Ihr Platz ist sehr tief in der Geschichte der Kunst,

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