Tage der Freuden
unbeweglich scheinen aus so großer Entfernung, unter ihrer hohen Krone aus blendend weißem Schnee.
XXVII
Segel im Hafen
Zwischen seinen niedrigen Kais erstreckte sich der Hafen langhin wie eine Straße aus Wasser, worauf das Licht des Abends glänzte. Hier blieben die Vorübergehenden stehen, um die versammelten Schiffe anzustaunen, als seien es Fremde, am Abend gekommen und gewillt, morgens weiterzureisen. Diese aber ließ die Neugier, die sie bei der Masse erregt hatten, gleichgültig, denn sie schienen deren Niedrigkeit zu verachten oder deren Sprache nicht zu kennen, und so bewahrten sie in der feuchten Herberge, wo sie sich für eine Nacht aufhalten sollten, ihre schweigende, unbewegliche Haltung. Der solide Bau des Vorderstevens sprach nicht minder von künftigen weiten Reisen als von Seeschäden der Ermattung, die sie auf ihren gleitenden Straßen schon hinter sich gelassen, Straßen, die so alt waren wie die Welt und so neu wie die Passage, die über sie hinführte und deren Spur verging. Schmächtig und doch voll Widerstand hatten sich diese Schiffe mit ernster Kühnheit gegen den Ozean hin gedreht, den sie beherrschen und der sie doch vernichtet. Das wunderreiche, sinnvolle Takelzeug spiegelte sich im Wasser, wie eine präzise, vorausblickende Intelligenz untertaucht in dem ungewissen Schicksal, das sie über kurz oder lang zertrümmern wird. Eben erst hatte man sie aus dem Bereich des schönen wilden Lebens gezogen, wohin sie morgen von neuem den Weg antreten sollten, und so waren ihre Segel noch geschmeidig von dem Wind, der sie eben noch gebläht, ihr Bugspriet schnitt schräg gegen das Wasser ab – wie gestern noch während der Fahrt, und vom Vorderschiff bis zum Heck schien das Muschelrund die geheimnisvolle und biegsame Grazie der Fahrt bewahrt zu haben.
Das Ende der Eifersucht
I
»Gib uns die Güter des Lebens, ob wir sie nun verlangen oder nicht, halte von uns die bösen Dinge fern, auch wenn wir sie von dir verlangen.« – »Diese Bitte scheint mir schön und sicher zugleich. Hast du etwas daran auszusetzen, verhehle es mir nicht.«
Plato
»Mein kleines Bäumchen, mein Eselchen, mein Mütterchen, mein Brüderlein, mein Heimatland, mein kleines Göttelein, mein kleiner Fremdling, mein kleiner Lotos, meine kleine Muschel, mein Schatz, meine kleine Pflanze, geh nun, laß mich mich anziehen, und ich werde dich Rue de la Baume um acht Uhr treffen. Ich bitte dich, komme nicht später als ein Viertel neun, denn ich habe großen Hunger.«
Sie wollte hinter Honoré die Tür ihres Zimmers schließen, aber er sagte ihr noch: »Hälschen!« Und sie streckte ihm ihren Hals alsogleich mit solch einer Gelehrigkeit und mit so übertriebenem Eifer entgegen, daß er in helles Lachen ausbrechen mußte.
»Selbst wenn du es nicht wolltest«, sagte er, »so gibt es doch zwischen deinem Halse und meinem Munde, zwischen deinen Öhrchen und meinem Schnurrbart, zwischen deinen Händen und den meinen einen besonderen geheimen Freundschaftsbund. Ich bin überzeugt, daß er nicht zu Ende wäre, wenn wir uns nicht mehr liebten, ebensowenig wie ich, seit ich mit meiner Kusine Paula gebrochen habe, meinen Kammerdiener hindern kann, Abend für Abend zu ihr zu gehen und mit ihrer Kammerfrau zu sprechen. Es kommt ganz von selbst und ohne mein ausdrückliches Einverständnis, daß mein Mund zu deinem Hälschen hinstrebt.«
Sie standen nun auf einen Schritt einander gegenüber. Plötzlich begegneten sich ihre Blicke, und ein jeder versuchte im Auge des andern den Gedanken der Liebe zu finden und festzuhalten. Sie blieb eine Sekunde stehen, aufrecht, dann fiel sie in einen Lehnstuhl und atmete schwer, als sei sie gelaufen, und dann sagten sie einander fast gleichzeitig in einer ernsthaften Ekstase, während sie jedes Wort mit den Lippen fest formten, als wollten sie es noch einmal umfangen:
»Mein Lieb!«
Sie wiederholte in trübselig traurigem Ton:
»Ja, mein Lieb«, und schüttelte den Kopf.
Sie wußte, daß er dieser kleinen Bewegung ihres Kopfes nicht widerstehen konnte, und schon warf er sich über sie, umarmte sie und sagte ihr langsam: »Du Böses!« so zärtlich, daß ihre Augen sich mit Tränen füllten. Es war halb acht. Er ging.
Als Honoré heimkam, wiederholte er für sich: »Mein Mütterchen, mein Brüderchen, mein Heimatland«, da hielt er inne, »ja, mein Heimatland, mein kleines Muschelchen, mein kleines Bäumchen«, und er konnte sich nicht enthalten, bei diesen Worten zu lachen, die sie so
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