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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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durchbrechen. Schon der Schritt eines Kindes in das Wasser höhlt eine tiefe Spur, er gibt einen deutlichen Ton; was an inniger Färbung hier im Wasser vereint war, in einem Augenblick ist es geschieden, aber bald ist die letzte Spur wieder geglättet, das Meer ist ruhig wie am ersten Tag der Schöpfung. Wer der Wege der Erde überdrüssig ist, wer sie kennt, ohne sie gegangen zu sein, in ihrer ganzen Banalität und in ihrer Härte – der wird der Verführung der bleichen Meereswege nicht widerstehen, die gefährlicher ist und sanfter zugleich, ungewiß und einsam. Alles ist hier geheimnisvoller bis zu den großen Schattenflächen, die bisweilen friedlich über die leeren Gefilde des Meeres streifen; ohne Häuser, ohne Schattendach breitet sich die Fläche der See aus, und über ihr die Wolken weit, die Dörfer des Himmels, dies unfaßbare Geäst.
    Das Meer hat den Zauber aller Dinge, die auch nachts nicht zur Ruhe kommen, die aber unserem unruhigen Dasein die Möglichkeit des Schlummers geben, ein Zusage von Ruhe, welche nichts zerstören kann und wird, so wie die Nachtlampe für die Kleinen, die sich weniger einsam fühlen, wenn sie leuchtet. Das Meer ist nicht wie die Erde vom Himmel geschieden, immer bleibt es im Einklang mit seinen Farben, es schmückt sich mit seinen zartesten Nuancen. Unter der Sonne strahlt es, jeden Abend scheint es mit ihr zu sterben. Ist die Sonne dahin, so hört es nicht auf, ihr nachzutrauern, etwas von ihrem strahlenden Andenken zu wahren, im Gegensatz zur Erde, die sich weithin ins gleiche düstere Kleid hüllt.
    Im Anblick dieses sanften melancholischen Widerscheins fühlt man sein Herz gelöst. Ist die Nacht beinähe ganz hereingebrochen und ist der Himmel düster über der in Schwärze getauchten Erde, dann leuchtet die See noch in schwachem Schimmer, man weiß nicht, durch welche geheimnisvolle Kraft, durch welche glanzerfüllte Reliquie des Tages, der unter den Meereswogen dahingegangen ist.
    Sie belebt unsere Einbildungskraft, denn sie zieht uns vom Leben der Menschen ab, aber sie hebt uns freudig empor, denn sie ist wie die Seele ein unbegrenztes, wenn auch unzulängliches Streben nach oben, ein Elan, unaufhörlich gehemmt von Sturz, eine Klage, sanft und ohne Anfang noch Ende. Zauberhaft ist sie wie die Musik, die nicht wie die Sprache vom rauhen Atemhauche der Dinge umgeben bleibt, sie schweigt von Menschen, aber sie folgt den Regungen unserer Seele nach. Unser Herz strebt feurig empor mit ihren Wellen, es sinkt mit ihnen zurück, so vergißt es sein eigenes Versagen. Was sie tröstet, ist eine innere Harmonie zwischen der Seelentraurigkeit und der Meerestraurigkeit, und eins wird ihr Geschick mit dem der Welt.
    September 1892
XXVI
Marine
    Den wahren Sinn mancher Worte habe ich verloren. Vielleicht muß man die Dinge dazu bringen, daß sie mich alle Worte wiedersagen lassen; denn diese Dinge haben seit so langer Zeit ihren Weg in meinem Innern sich gebahnt. Wohl ist er seit Jahren verlassen, aber man kann ihn wiederfinden, denn er ist, ich glaube daran, nicht für immer verschüttet. Ich müßte zurück in die Normandie, nicht um besonders meine Kraft zu erproben, sondern bloß einfach, um am Meeresstrande spazierenzugehen. Oder besser noch, die Wege zu wählen unter den Bäumen, von wo man von Zeit zu Zeit das Meer wahrnimmt oder seinen Atem, den Duft nach Salz, nach feuchten Blättern und nach Milch. Ich müßte nichts von diesen Heimat-Dingen fordern. Sie sind voll schenkender Großmut gegen das Kind, das sie bei seinen ersten Schritten auf der Welt gesehen haben, und von sich aus würden sie mir alle vergessenen Dinge ins Gedächtnis zurückrufen. Vor allem würde sein ganzer Duft mir das Meer ankündigen, bevor ich es gesehen. In der Ferne würde ich es hören. Ich würde einen Weg zwischen Hagedornbüschen gehen, in zärtlichstem Gefühl, ich kenne es lange schon, auch unter einer gewissen Angst, und plötzlich, durch einen wilden Riß in der Hecke, sehe ich mit einem Male die unsichtbar gegenwärtige Freundin, die tolle, die sich immer beklagt, die alte Königin der Wehmut: die See. Mit einem Schlage sehe ich sie! Es ist ein dumpf brütender Tag unter blendender Sonne, sie ist der Widerschein der Himmelsbläue, nur blasser. Wie Schmetterlinge sind weiße Segel dem unbewegten Meere aufgesetzt, sie sind gelähmt von der Hitze, sie regen sich nicht. Oder das Meer ist im Gegensatz dazu hoch aufgerührt, gelb unter der Sonne, wie ein gewaltiges Ackerfeld, mit Kämmen, die

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