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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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in der Welt der Pferde zu sein, der Welt der Jagden und Rennen, des Polos und der Sauhatzen! Wenn
    Elizabeth Verrall wegen nichts anderem liebte, sie hätte ihn allein darum geliebt, weil er Pferde in ihr Leben brachte. Sie plagte ihn mit Gesprächen über Pferde, wie sie einst Flory mit Gesprächen über die Jagd geplagt hatte. Allerdings war Verrall kein Erzähler. Ein paar karge, barsche Bemerkungen über Polo und Sauhatz und eine Aufzählung von indischen Stationen und Namen von Regimentern waren schon sein Äußerstes. Und doch war das wenige für Elizabeth so aufregend, wie Florys lange Reden es nie gewesen waren. Allein sein Anblick zu Pferde rief mehr Gefühle wach als alle Worte. Die Aura des Reiters und Soldaten umgab ihn. In seinem gebräunten Gesicht und seinem festen, geraden Körper sah Elizabeth die ganze Romantik, die prachtvolle
    Angeberei eines Kavalleristenlebens. Sie sah die
    Nordwestgrenze und den Cavalry Club, sie sah die Poloplätze und die ausgedörrten Kasernenhöfe und die braunen
    Schwadronen der Reiter, die mit schwebenden Lanzen und den fliegenden Schleppen ihrer Pagris galoppierten; sie hörte die Hornsignale und das Klingen der Sporen und die
    Regimentsmusik, die vor der Messe spielte, während die
    Offiziere in ihren steifen, prachtvollen Uniformen beim Essen saßen. Wie herrlich war sie, diese Reiterwelt, wie herrlich! Und es war ihre Welt, sie gehörte dazu, sie war dafür geboren. Sie lebte, dachte, träumte nichts als Pferde, fast wie Verrall selbst.
    Es kam eine Zeit, da sie ihre Flunkereien, ›daß sie sehr viel auf Jagd gewesen sei‹, beinahe selbst glaubte.
    Sie kamen in jeglicher Hinsicht gut miteinander aus. Er
    langweilte und reizte sie nie, wie Flory es getan hatte.
    (Tatsächlich hatte sie Flory in diesen Tagen fast vergessen; wenn sie an ihn dachte, fiel ihr aus irgendeinem Grund immer sein Muttermal ein.) Es verband die beiden, daß Verrall alles
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    ›Intellektuelle‹ noch mehr verabsche ute als sie. Er eröffnete ihr, daß er seit seinem achtzehnten Jahr kein Buch gelesen habe und daß er eigentlich Bücher ›verabscheute‹; »außer, natürlich, Jorrocks und dergleichen«. Am Abend ihres dritten oder vierten Ausrittes trennten sie sich am Tor der Lackersteens. Verrall hatte allen Einladungen von Mrs. Lackersteen zu Mahlzeiten erfolgreich widerstanden; er hatte keinen Fuß in das
    Lackersteensche Haus gesetzt und beabsichtigte es auch nicht zu tun. Als der Groom Elizabeths Pony übernahm, sagte Verrall:
    »Ich will Ihnen was sagen. Wenn wir das nächste Mal
    ausreiten, sollen Sie Belinda reiten. Ich den Kastanienbraunen.
    Ich glaube, Sie sind gut genug vorwärtsgekommen, daß Sie
    Belinda nicht das Maul zerschneiden werden.«
    Belinda war die Araberstute. Verrall besaß sie seit zwei
    Jahren, und bis zu diesem Augenblick hatte er sie keinem
    anderen anvertraut, nicht einmal dem Groom. Es war die größte Gunst, die er sich vorstellen konnte. Elizabeth verstand die Größe dieser Gunst und würdigte sie dankbar.
    Als sie am nächsten Abend Seite an Seite heimwärts ritten, legte Verrall den Arm um Elizabeths Schultern, hob sie aus dem Sattel und zog sie an sich. Er war sehr stark. Er ließ den Zügel fallen und hob mit der freien Hand ihr Gesicht zu seinem empor; ihre Münder begegneten sich. Einen Augenblick hielt er sie so, dann ließ er sie auf die Erde sinken und rutschte von seinem Pferd. Sie umarmten einander, ihre dünnen, durchnäßten
    Hemden aneinander gepreßt, die beiden Zügel in seiner
    Armbeuge gehalten.
    Etwa um dieselbe Ze it faßte Flory zwanzig Meilen weit weg den Entschluß, nach Kyauktada zurückzugehen. Er stand am
    Rande des Dschungels am Ufer eines ausgetrockneten Baches, wo er spazierengegangen war, um sich müde zu machen, und
    winzigkleine, namenlose Finken beobachtete, die sich von dem Samen des hohen Grases nährten. Die Hähnchen waren
    chromgelb, die Weibchen wie weibliche Sperlinge. Zu klein, um
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    die Halme zu biegen, schwirrten sie auf sie zu, ergriffen sie mitten im Fluge und drückten sie mit ihrem Gewicht zur Erde.
    Flory beobachtete die Vögel ohne Neugier und haßte sie
    beinahe, weil sie keinen Funken Interesse in ihm entzünden konnten. Müßig schlug er mit seinem Dab nach ihnen und verscheuchte sie. Wenn sie hier wäre, wenn sie hier wäre! Alles
    - Vögel, Bäume, Blumen, alles - war tot und sinnlos, weil sie nicht hier war. Mit dem Vergehen der Tage war das Bewußtsein, daß er sie verloren hatte, gewisser und

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