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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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bemächtigt hatte, nahm Flory einen Stuhl außerhalb der Gruppe. Er wagte noch nicht, Elizabeth anzusprechen. Mrs. Lackersteen hatte angefangen, in
    ungewöhnlichem, albernem Ton über den lieben Prince of
    Wales zu sprechen, sie hatte sich einen Akzent zugelegt wie eine vorübergehend beförderte Choristin, die in einem Musical die Rolle einer Herzogin spielen darf. Die anderen fragten sich insgeheim, was zum Teufel mit ihr los war. Flory hatte fast hinter Elizabeth Platz genommen. Sie trug ein gelbes Kleid,
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    nach der damaligen Mode sehr kurz, dazu champagnerfarbene
    Strümpfe und passende Pumps und einen großen Fächer aus
    Straußenfedern. Sie sah so modisch, so erwachsen aus, daß er sie mehr fürchtete denn je. Es war unglaublich, daß er sie je geküßt hatte. Sie plauderte leichthin mit allen anderen zugleich, und dann und wann wagte er, ein Wort in die allgemeine
    Konversation einzuwerfen: aber sie antwortete ihm nie direkt, und er hätte nicht sagen können, ob sie ihn übersehen wollte oder nicht.
    »Nun«, sagte Mrs. Lackersteen bald, »und wer ist für einen Robbah?«
    Sie sagte ganz deutlich ›Robbah‹. Ihr Akzent wurde mit
    jedem Wort aristokratischer. Es war unerklärlich.
    Augenscheinlich waren Ellis, Westfield und Mr. Lackersteen für einen ›Robbah‹. Flory lehnte ab, sobald er sah, daß Elizabeth nicht spielte. Jetzt oder nie hatte er Gelegenheit, sie allein zu sprechen. Als alle ins Spielzimmer hinüber gingen, sah er mit einer Mischung aus Angst und Erleichterung, daß Elizabeth die letzte der Gruppe war. Er blieb in der Tür stehen und versperrte ihr den Weg. Er war leichenblaß geworden. Sie scheute vor ihm ein bißchen zurück.
    »Entschuldigen Sie«, sagten beide gleichzeitig.
    »Einen Augenblick«, sagte er und konnte nicht verhindern,
    daß seine Stimme zitterte. »Kann ich Sie sprechen? Sie haben doch nichts dagegen - ich muß Ihnen etwas sagen.«
    »Wollen Sie mich bitte vorbeilassen, Mr. Flory?«
    »Bitte! Bitte! Wir sind jetzt allein. Sie werden mir doch nicht verwehren, zu sprechen?«
    »Was gibt es denn?«
    »Es ist nur folgendes. Womit ich Sie auch beleidigt habe -
    bitte sagen Sie mir, was es ist. Sagen Sie es und lassen Sie mich es richtigstellen. Ich möchte mir lieber die Hand abhacken als Sie beleidigen. Sagen Sie es mir einfach, lassen Sie mich nicht
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    weiter in dieser Ungewißheit.«
    »Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden. ›Ihnen sagen,
    womit Sie mich beleidigt haben?‹ Wieso sollten Sie mich beleidigt haben?«
    »Aber ich muß es getan haben. Nach ihrem Verhalten zu
    urteilen!«
    »›Nach meinem Verhalten‹? Ich weiß nicht, was Sie meinen.
    Ich weiß überhaupt nicht, warum Sie in dieser ungewöhnlichen Weise mit mir sprechen.«
    »Aber Sie wollen nicht einmal mit mir sprechen! Heute
    morgen haben Sie mich glatt geschnitten.«
    »Ich kann doch wohl tun, was ich will, ohne ausgefragt zu
    werden?«
    »Aber bitte, bitte! Verstehen Sie nicht, Sie müssen doch
    verstehen, wie es für mich ist, so plötzlich geschnitten zu werden. Schließlich haben Sie erst gestern abend -«
    Sie errötete. »Ich finde es absolut - absolut gemein von ihnen, dergleichen zu erwähnen!«
    »Ich weiß, ich weiß. Ich weiß das alles. Aber was sonst soll ich tun? Sie sind heute morgen an mir vorübergegangen, als wäre ich ein Stein. Ich weiß, daß ich Sie irgendwie beleidigt habe. Können Sie es mir vorwerfen, daß ich wissen möchte, was ich getan habe? «
    Er merkte, daß über die Sache zu sprechen für sie noch
    schlimmer schien als die Sache selber, was immer er getan
    haben mochte. Sie wollte nichts erklären. Sie wollte ihn im dunkeln lassen - ihn schneiden und dann so tun, als wäre nichts passiert; das natürliche weibliche Vorgehen. Gleichwohl drängte er weiter:
    »Bitte, sagen Sie mir’s. Ich kann nicht zulassen, daß zwischen uns alles so zu Ende geht.«
    ›»Zwischen uns zu Ende geht‹? Da gibt es nichts, was zu
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    Ende gehen könnte«, sagte sie kalt.
    Die Gemeinheit dieser Bemerkung verletzte ihn, und er sagte rasch: »Das war Ihrer nicht würdig, Elizabeth! Es ist nicht großmütig, einen Mann so zu schneiden, nachdem Sie
    freundlich zu ihm gewesen sind, und sich dann zu weigern, ihm auch nur den Grund zu sagen. Sie können ganz offen zu mir
    sein. Bitte, sagen Sie mir, was ich getan habe.«
    Sie sah ihn mit einem unaufrichtigen, bitteren Blick an, bitter nicht wegen seiner Tat, sondern weil er sie gezwungen hatte, davon zu sprechen. Aber

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