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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Kartoffeln fressen …«
    Schwupp, hinein mit dem Mark.
    »Na ja«, fügt er hinzu: »nun laufen sie natürlich davon und schwatzen es in alle Winde –.«
    »Glaubst du?«
    »Klar.«
    »Wie kann man das verhindern?«
    »Nichts leichter als das.«
    »Wie?«
    Das Lächeln von Leuten, denen man ausgeliefert ist, Gottlieb kennt es, nichts widerlicher als ihre gelassene Art, diese höfliche Art, wie der Harlekin, kaum hat Gottlieb sich eine Zigarette genommen, sein Feuerzeug schnappen läßt, dem Anschein nach ein beflissener Diener, in Wahrheit ein rechnender Folterer.
    »Nichts leichter als das –.«
    »Aber wie?« fragt Gottlieb: »Wie?«
    Der lacht nur:
    »Galeere!«
    Aber davon will Gottlieb nichts wissen, versteht sich, so einer ist er nicht, Gottlieb Knoll, der nur das Gute will, und schließlich sind es doch seine Freunde. Warum soll er seine Freunde auf die Galeere schicken?
    »Freunde«, lacht der Harlekin.
    »Es sind meine Freunde!«
    »Gewesen.«
    Gottlieb kniet:
    »Jennylein? Jennylein?«
    Noch ist sie nicht bei Bewußtsein.
    »Unsinn«, sagt Gottlieb: »wieso sollen sie nicht mehr meine Freunde sein?«
    »Weil sie dich fürchten.«
    »Fürchten!« sagt Gottlieb: »Was habe ich ihnen denn getan? Wo ich doch nur das Beste will, wo ich sie alle an meine Tafel lade – Wieso fürchten sie mich denn plötzlich? Das ist doch Quatsch. Wieso fürchten?«
    »Weil du die Macht hast.«
    »Ich will gar keine Macht –«
    »Aber du hast sie«, lacht der Harlekin: »Das haben sie gesehen.Und drum fürchten sie dich, drum ist ihnen der Appetit vergangen. Keinen Löffel voll haben sie genommen. Nicht einmal die Bettlerin …«
    Gottlieb hat sich erhoben, nachdem er die arme Jenny umsonst gestreichelt hat. Er mag jetzt die Tafel nicht ansehen! Am Fenster steht er, die Hände in den Hosentaschen, Blick auf den Fischmarkt, der menschenleer ist; nur Gendarmen gehen auf und ab, jedes Palais will bewacht sein. Gottlieb schüttelt den Kopf, so lächerlich dünkt ihn der ganze Spuk.
    »Macht«, sagt er: »Was heißt Macht?«
    »Eine tödliche Unterschrift.«
    Pause.
    »Hol sie!« sagt Gottlieb, indem er sich entschlossen wendet: »Ich will, daß sie zum Essen kommen. Entweder sind sie meine Freunde und kommen, oder ich schicke sie wirklich auf die Galeere. Sag ihnen das. Ich will, daß sie zum Essen kommen.«
    »Schön.«
    »Und zwar sofort!«
    Bereits hat der Harlekin, beflissen wie er ist, seine Zigarette ausgedrückt, hat auch schon die Klappe im marmornen Kamin geöffnet, als Gottlieb ihn an der Schulter faßt:
    »Du wirst sehen, sie kommen!«
    »Sicher.«
    »Ohne Zögern.«
    »Weil sie dich fürchten.«
    »Ich werde sie fragen, du, ganz offen werde ich sie fragen, ob sie meine Freunde sind oder nicht.«
    »Und sie werden sagen: Ja.«
    »Mehr will ich nicht …«
    »Ja«, nickt der Harlekin: »aber es ist gelogen. Darüber bist du dir klar? Sie werden lügen, was du willst, sogar schwören, nur damit sie nicht auf die Galeere kommen –«
    »Lügen?«
    »Das ist die Macht«, lächelt der Harlekin mit einem Zucken der Schulter, mit der Gebärde eines Händlers, der nicht mit sich markten läßt: »Sie wissen, deine Unterschrift ist tödlich, siefürchten dich, sie hassen dich, aber sie gehorchen dir – das ist die Macht.«
    Gottlieb stampft auf den Boden:
    »Ich tu ihnen doch nichts!« schreit er voll Vorwurf. Der Harlekin grinst. Und Gottlieb ist dem Weinen nahe: »Sag ihnen, sie sollen mir glauben. Sag ihnen, ich wolle wirklich nur das Gute, Frieden und Freundschaft! Sie sollen mir vertrauen.«
    »Leicht gesagt.«
    »Ehrenwort! Ehrenwort!«
    »Leicht gesagt. Sie wissen, du kannst dich daran halten oder nicht; sie wissen, du hast noch zwei solche Unterschriften –«
    »Ich werde sie nie gebrauchen!«
    »Leicht gesagt. –«
    »Nie! Nie.«
    »Und wenn sie dich dazu zwingen?«
    Gottlieb hält sich an der Wand.
    »Harlekin, was soll ich denn tun –«
    »Schick sie auf die Galeere!«
    »Meine eigenen Freunde?«
    »Du hast keine Freunde mehr.«
    »Keine?«
    »Außer mir.«
    Sagt es und entschwindet durch den Rauchfang …
     
    Als Jenny wieder zu sich kommt, langsam die Augen öffnet, erinnernd, daß es Montag ist, und als sie Gottlieb erkennt, der noch immer nicht auf den Bus gelaufen ist, sondern vor ihr kniet, ist die erste Leistung ihres Bewußtseins, daß sie nach der genauen Zeit fragt.
    »Jennylein«, flüstert er: »mach dir keine Sorgen – vor allem keine Gedanken.«
    »Du bist so lieb.«
    »Nur jetzt keine Gedanken

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